Acht Stunden sind kein Tag 1972
Filmliste Rainer Werner Fassbinder
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Regie |
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Drehbuch |
Rainer Werner Fassbinder |
Produktion |
WDR (Peter Märthesheimer) |
Ausstattung |
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Kamera |
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Musik |
Jean Gepoint (d.i. Jens Wilhelm Petersen) |
FSK |
ohne |
Länge |
ca. 470 Minuten |
Sonstiges |
Kosten ca. 1,3 Mio DM Drehzeit: 105 Tage Drehort: Fabriken in Mönchengladbach und Köln. Filmtext in: Fassbinders Filme 4/5. Zwei Bände. Frankfurt a.M., Verlag der Autoren, 1991. Enthält auch die Drehbücher zu den nicht realisierten Folgen 6-8. (Quelle: "Rainer Werner Fassbinder, Hrg. Peter W. Jansen / Wolfram Schütte, Fischer-Cinema-Buch Nr. 11318, Seite 285) |
Filmbeschreibung |
Filmportal (Teil 1) |
Ur-/Erstaufführung |
TV 29. Oktober 1972 - 18. März 1973 |
Genre |
"Alternative" Familienserie, Sozialkritik, Familie, Liebe |
Darsteller |
Rolle |
Anita Bucher |
Käthe |
Oma |
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Harald |
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Gregor |
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Marion |
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Jochen |
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Marions Mutter |
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Renate Roland |
Monika |
Andrea Schober |
Sylvia |
Thorsten Massinger |
Manni |
Franz |
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Wolf |
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Christine Oesterlein |
Klara |
Irmgard Erlkönig |
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Manfred |
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Rüdiger |
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Rolf |
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Jürgen |
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Peter Gauhe |
Ernst |
Grigorios Karipidis |
Giuseppe |
Karl Scheydt |
Peter |
Victor Curland |
Meister Kretzschmer |
Rainer Hauer |
Werkshallenleiter Gross |
Hausfrau in Teil 2 |
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Christiane Jannessen |
Hausfrau in Teil 2 |
Doris Mattes |
Hausfrau in Teil 2 |
Gusti Kreissl |
Hausfrau in Teil 2 |
Hausfrau in Teil 2 |
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Katrin Schaake |
Vermieterin |
Rudolf Lenz |
Vermieter |
Jörg von Liebenfels |
Vermieter in Teil 2 |
...und als Gäste |
Heinz Meier Karl-Heinz Vosgerau Peter Chatel Valeska Gert Marquard Bohm Hannes Gromball |
Inhalt
Ein Film kann volkstümlich sein, selbst wenn das große Publikum es zunächst gar nicht merkt. Dieses Schicksal erlebten in gewissem Maße der Händler der vier Jahreszeiten und Die bitteren Tränen der Petra von Kant. Beide Filme sind unmittelbar zugänglich und unterhaltsam, und ganz zu Unrecht ließ der Publikumserfolg erst einmal auf sich warten, was wohl an Fassbinders Ruf als schroffen und unzulänglichen Avantgardisten lag. Um diese Vorurteile zu überwinden, beschloss Fassbinder, seinem Publikum entgegenzukommen, und machte zwei Fernsehserien bzw. -filme: die fünfteilige Familienserie Acht Stunden sind kein Tag und den zweiteiligen Science-fiction-Fernsehfilm Welt am Draht.
In Acht Stunden sind kein Tag ging Fassbinder zunächst von den Klischees der Familienserie aus, stellte aber zugleich seine Figuren in eine Reihe von Dramen und Entscheidungssituationen, die sich direkt auf erkennbare alltägliche Familien- und Arbeitssituationen bezogen. Ohne auf unmittelbare Unterhaltung zu verzichten, gelang es Fassbinder, Vorurteile und Denkgewohnheiten auf den Kopf zu stellen und einfache, überraschende, leicht verständliche Lösungen für politische Probleme anzubieten, die im Kielwasser der Studentenbewegung seinerzeit eher in Form von Schlagworten und theoretisierender Phrasendrescherei behandelt wurden. Fassbinder macht sich nicht klüger oder besser als sein Publikum. Er zeigt, dass man mit Hilfe kleinbürgerlicher Lebensklugheit und einfachem Nachdenken revolutionärer handeln kann als diejenigen, die all die "revolutionären" Phrasen gelernt haben, sie aber eher zur Selbstbestätigung brauchen als in Handlung umsetzen. Und er zeigt, dass es trotz allem möglich ist, sinnvolle Unterhaltung zu machen und auf unterhaltsame Weise Sinnvolles zu sagen. Fassbinder machte die Serie natürlich nicht nur für das große Publikum, sondern auch zu seinem eigenen Vergnügen und um mehr über die Probleme zu lernen, mit denen er sich beschäftigte. Daraus entstand seine Solidarität mit dem Publikum. Zusammen mit dem Publikum macht er ein Experiment: Wenn wir nun dies und jenes täten und nicht mehr das, woran wir gewöhnt sind, dann könnten wir vielleicht dies und jenes erreichen. Der elegische Weltschmerz der früheren Filme hat einem übermütigen Optimismus Platz gemacht, der nie gekünstelt wirkt, weil er sich ständig in der Praxis auf die Probe stellt. Und genau in diesem Punkt unterscheidet er sich von der üblichen Fernsehunterhaltung.
(Quelle: Christian Braad Thomsen: "Rainer Werner Fassbinder - Leben und Werk eines maßlosen Genies", Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg, 1993, Seiten 162-163, Textübernahme mit freundlicher Erlaubnis des Autors)
Die besondere Leistung von Acht Stunden sind kein Tag liegt jedoch in der damals ungewöhnlichen Verschränkung von Familiensphäre und (Fabrik-)Arbeitsplatz. Die Fernsehserie gehört zum Genre des "Arbeiterfilms", das einige Jahre zuvor auf Initiative des WDR entstanden war und zu dem Filme von Christian Ziewer / Klaus Wiese (Liebe Mutter, mir geht es gut, 1971), Theo Gallehr / Rolf Schübel (Rote Fahnen sieht man besser, 1971) und Marianne Lüdcke / Ingo Kratisch (Die Wollands, 1972) gehören.
Acht Stunden sind kein Tag zählt wohl zu den herausragenden Beispielen dieses mutigen, aber auch kurzlebigen Versuchs, das öffentlich-rechtliche Fernsehen der Bundesrepublik für Darstellungen der sozialen Realität zu öffnen, zumindest der des sich tief in der Krise befindenden Ruhrgebiets. Die fünf Folgen sind gleichermaßen kritisch wie unterhaltsam, greifen typische Themen auf, lassen aber auch Raum für Fantasien von einem besseren und selbstbewussteren Leben für diejenigen, die die Hauptlast des "Wirtschaftswunders" zu tragen hatten. Acht Stunden sind kein Tag verdankt sich der antiautoritären Bewegung und der APO. Sie lieferten Fassbinder den geschärften Blick für soziale Widersprüche, wobei er es aber tunlichst vermied, explizite Belehrungen oder Lösungen anzubieten. Hier äußerte sich seine Vorliebe für Klischees und Stereotypen, die eine "emotionale Wahrheit" beförderten, vielleicht auf Kosten dokumentarischer Authentizität. Fassbinder war zudem in der Lage, die Genregrenzen noch in einer anderen Richtung zu überschreiten, indem er seine Version des "Frauenfilms" einschmuggelte. Die Hauptrollen spielten Luise Ullrich, ein Star des kommerziellen Films der fünfziger Jahre und Fassbinders "Star" Hanna Schygulla. Die Serie zeigte beider Kampf für mehr persönliches Glück und allgemeine Solidarität, vielleicht im Geiste von Bertolt Brechts "Die Mutter" (1931/32).
(Quelle: Thomas Elsaesser: "Rainer Werner Fassbinder", Bertz Verlag GbR, Berlin, 2001, Seiten 439-441, Textübernahme mit freundlicher Erlaubnis des Autors)
* * *
Die Folgen im Einzelnen
1.
Jochen und Marion (TV-Ausstrahlung
29.10.72, ARD, 101 Min.) Jochens
Arbeitsgruppe - sie sind Werkzeugmacher - steht unter Druck: In 17 Wochen sollen
vier Vorrichtungen fertig sein, aber obwohl sich alle Mühe geben, sieht es
nicht so aus, als ob sie es schaffen würden. In dieser verfahrenen Situation
macht Jochen einen Verbesserungsvorschlag: Durch eine konstruktive Änderung
wird der Arbeitsvorgang entschieden vereinfacht und anstatt der veranschlagten
vier Vorrichtungen werden nur noch zwei benötigt. Jochen bekommt eine Prämie,
ein großes Fest wird gefeiert - aber mitten ins große Aufatmen platzt die
Nachricht, dass die Betriebsleitung Konsequenzen aus der neuen Situation gezogen
hat: Sie streicht die Leistungszulage.
2.
Oma und Gregor (TV-Ausstrahlung
27.12.72, ARD, 99 Min.) Oma und Gregor suchen eine Wohnung, aber Wohnungen sind teuer. Wenn sie beide ihre Renten zusammenlegen, kommen sie auf 1085 Mark. "Davon wollen wir 20 Prozent für Miete ausgeben" sagen Oma und Gregor, denn so ist der Bundesdurchschnitt. Aber für 217 Mark finden sie so schnell keine Wohnung, die ihnen gefällt - was sie jedoch finden, sind zahllose Kinder auf der Strasse, die Omas und Gregors Meinung nach in einem Kindergarten viel besser aufgehoben wären. Aber Kindergärten sind offenbar so rar wie Wohnungen. Angesichts einer Filiale der Stadtbücherei, die mangels Nachfrage gerade geräumt wird, hat Oma eine Idee.
3.
Franz und Ernst (TV-Ausstrahlung
21.01.73, ARD, 91 Min.) Nachdem
Meister Kretschmer gestorben war, hatte sein bisheriger Stellvertreter, der
Vorarbeiter Franz, kommissarisch die Meisterfunktionen in Jochens Gruppe übernommen.
Die Gruppe hält es auch für selbstverständlich, dass Franz irgendwann auch
formal als Meister bestätigt werden wird. Aber die Betriebsleitung ist anderer
Meinung: sie holt sich einen jungen Mann von draußen: Fremde Besen kehren gut.
Franz darf sich den Dank der Firma für seine kommissarische Tätigkeit anhören.
Ernst, ein junger Absolvent einer Höheren Technischen Lehranstalt, wird als
neuer Meister in sein Amt eingeführt. Die Gruppe setzt sich zur Wehr - gegen
Ernst, für Franz. Aber es zeigt sich, dass sie sich verrechnet hat, was Franz -
und was Ernst angeht.
4.
Monika und Harald (TV-Ausstrahlung
18.02.73, ARD, 88 Min.) Werkzeugmacher
sind nicht nur Werkzeugmacher, und Arbeiter sind nicht nur Arbeiter. Sie haben
außerdem Gefühle, Neigungen, private Bedürfnisse, psychologische Probleme.
Monika möchte gerne wieder arbeiten und sich außerdem von Harald scheiden
lassen - aber Harald will weder das eine, noch möchte er Monika die Tochter
Sylvia überlassen. Jochen und Marion wollen heiraten - aber da gibt es Marions
Mutter, die sich für ihre Tochter einen anderen Mann vorgestellt hat als
ausgerechnet einen Arbeiter. Oma schließlich ist es leid, sich von ihrem
Schwiegersohn Wolf ständig tyrannisieren zu lassen - sie zieht aus und beginnt
mit ihrem Gregor eine sehr wilde Ehe.
5.
Irmgard und Rolf (TV-Ausstrahlung
18.03.73, ARD, 88 Min.) Jochens Arbeitsgruppe erfährt, dass eine Verlegung ihres Betriebs geplant ist - irgendwo draußen vor der Stadt. Das bringt eine Reihe von Problemen mit sich: Für die meisten bedeutet das längere Anfahrtszeiten - oder Umzug. Aus der Diskussion darüber, ob man von der Firma nicht bestimmte Beihilfen und Unterstützungen für solche Fälle fordern kann, entsteht plötzlich eine viel weiter gehende Überlegung: Wenn schon das Haus neu gebaut wird, soll man dann nicht auch darüber nachdenken, was man an den Arbeitsbedingungen selbst verbessern kann? Mehr Freiheit, Unabhängigkeit, Autonomie heißt aber auch Verantwortung, mehr Einsatz, mehr Risiko. Das lernt die Gruppe freilich erst, als die Betriebsleitung überraschenderweise einem Experiment mit dem Modell zustimmt, das die Arbeiter sich ausgedacht haben.
(Quelle: Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, Juli - Dezember 1972, Seite 75-89)
Acht Stunden sind kein Tag wurde nach fünf Folgen, entgegen früheren Ankündigungen, überraschend nicht weiter produziert, was Dr. Günther Rohrbach, Chef der Programmgruppe Fernsehspiel beim Westdeutschen Rundfunk, mit dramaturgischen Gründen rechtfertigte: die geplanten Folgen hätten so lange Gewerkschaftsdiskussionen enthalten, dass der Unterhaltungswert gelitten hätte. 'Man sollte sich mit diesen Erklärungen nicht zufriedengeben, denn die Begründungen" (der Absetzung) "enthalten im Kern genau das, was die Kritiker der Serie vermisst hatten, den Eingang der bislang abwesenden Gewerkschaften in den dargestellten Arbeitskampf..." schreibt Günther Pflaum in "Funk-Korrespondenz" Nr. 22 vom 30. Mai 1973, Seite 13.
(Quelle: "Rainer Werner Fassbinder, Hrg. Peter W. Jansen / Wolfram Schütte, Fischer-Cinema-Buch Nr. 11318, Seite 161)
Weitere Kommentare - FK, 2.11.1972 (Egon Netenjakob): "Die falsche Film-Sprache" - Die Zeit, 3.11.1972 (H. Karasek): "Bei Arbeiters" - Sonntagsblatt, 28.1.1973 (Manfred Delling): "Industrielandschaft mit Einzelkämpfern" - Der Spiegel, 6.11.1972 (G. Wallraff): "Nur mal drübergegangen" - epd - Kirche und Fernsehen, 10.2.1973 (W. Wiegand): "Fassbinder und die verletzten Tabus"
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 10. Oktober 2020
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