M a r t h a   

1973/74

 

Filmliste Rainer Werner Fassbinder

  

  

  

   

Regie

Rainer Werner Fassbinder

Drehbuch

Rainer Werner Fassbinder, nach der Geschichte "Lebenslänglich" von Cornell Woolrich

Produktion

Tango-Film für WDR, Peter Märthesheimer

Ausstattung + Bauten

Kurt Raab

Kamera

Michael Ballhaus

Musik

Manfred Oelschlegel, Beethoven, Palestrina, Donizetti

Schnitt

Liesgret Schmitt-Klink

FSK

ab 12 Jahre

Länge

116 Minuten

Sonstiges

Hellmuth Karassek schreibt im Spiegel über den Film Martha (pdf-Dokument)

Filmbeschreibung

Jump Cut

Filmzentrale.com

www.filmportal.de 

Fassbinder-Foundation

Ur-/Erstaufführung

TV am 28. Mai 1974

Genre

TV-Film, Drama, Literaturverfilmung, Hörigkeit, Liebe, Gewalt

           

     

Darsteller

Rolle

Margit Carstensen

Martha Hyer, später: Salomon

(Weitere Informationen zur Schauspielerin Hyer siehe Text von Thomas Elsaesser.)

Karlheinz Böhm

Helmut Salomon

Gisela Fackeldey

Marthas Mutter

Adrian Hoven

Marthas Vater

Barbara Valentin

Marianne

Ingrid Caven

Ilse

Ortrud Beginnen

Erna

Wolfgang Schenck

Chef

Günter Lamprecht

Dr. Salomon, Helmuts Vater  

Peter Chatel

Kaiser

El Hedi Ben Salem

Hotelgast

Kurt Raab

Sekretär in der Botschaft

Rudolf Lenz

Portier

   

            

       

Inhalt

Szenefoto mit Günter Lamprecht, Karlheinz Böhm und Margit Carstensen (Szene 1) - Quelle: Einhorn-Film

Jetzt hat er sie endlich da, wohin er sie haben wollte. Martha kommt jetzt buchstäblich nicht mehr los von ihm. Von links nach rechts: Günter Lamprecht, Karlheinz Böhm und Margit Carstensen

Foto: Einhorn-Film

 

In Martha erbringt Margit Carstensen ihre stärkste Leistung als die sensible Martha Hyer, die, nach einer stürmischen Affäre in Rom, den höflichen und attraktiven Ingenieur Helmut Salomon (Karlheinz Böhm) heiratet. Sie mieten ein prächtiges Haus am Bodensee, in dem Martha allerdings zumeist alleine ist und sich den Klängen von Donizettis "Lucia di Lammermoor" anheimgibt, weil Helmut geschäftlich häufig unterwegs ist. Gelegentlich isst sie mit Kaiser (Peter Chatel), einem alten Kollegen aus der Zeit, als sie noch in einer Bücherei arbeitete. Helmut, der versichert, seine Frau zu lieben, scheint sich fortwährend Marthas mit erstickender Fürsorge bemächtigen zu wollen. Mit seinen freundlichen, aber bestimmten Versuchen, sie zu erziehen, macht er sie zu einer Gefangenen im eigenen Haus, und seine Leidenschaft trägt vampirische Züge, zumindest kommt es ihr so vor. Allmählich wächst ihre Überzeugung, dass Helmuts "terror" sie in den Wahnsinn treiben soll, um sie auf diese Weise in die Psychiatrie einweisen lassen zu können. Sie überredet den jungen Bibliothekar, sie aufs Land hinauszufahren, und als ihnen ein Fahrzeug folgt, ist das für Martha Beweis genug, dass Helmut in der Nähe ist. Beim Versuch, ihn abzuschütteln, überschlägt sich das Auto. Martha erwacht im Hospital und erfährt, dass nur sie den Unfall überlebt hat. Unheilbar gelähmt wird sie von Helmut in einem Rollstuhl nach Hause gebracht. Sie ist ihm jetzt vollständig ausgeliefert.

  

Der Film erzählt eine derart klassische Hollywoodgeschichte, dass es nicht erstaunt zu erfahren, dass dem Film eine Kurzgeschichte von Cornell Woolrich zugrundeliegt. Martha Hyer war zudem ein kühler Hollywoodstar der fünfziger und sechziger Jahre, der unter anderem in "Battle Hymn" (Der Engel mit den blutigen Flügeln; 1956; R: Douglas Sirk) und als frigide Verlobte Sinatras in dem Klassiker "Some Came Running" (Verdammt sind sie alle; 1958; R: Vincente Minnelli) mitspielte. Wie bei den überzeugendsten Beispielen des Paranoia-Genres weiß der Zuschauer niemals genau, ob Marthas Qualen Ausdruck eines Verfolgungswahns oder tatsächlich von ihrem Mann in Szene gesetzt werden, ob ihre totale Abhängigkeit am ende des Films als tragisch zu bewerten ist oder vielmehr als Wunschphantasie. Dank der darstellerischen Leistungen von Karlheinz Böhm und Margit Carstensen überführt der Film den Stoff mühelos und überzeugend in die Welt des bundesdeutschen Bodensee-Bürgertums. Auch wenn in Fassbinders Filmen Masochismus häufig als männliche Perversion erscheint - wie übrigens auch in Sternbergs Filmen mit Marlene Dietrich -, bleibt Martha als Studie eine sadomasochistischen Paarbeziehung unerreicht. Im Gedächtnis haftet die Szene, in der Helmut während der Flitterwochen und nach einem am Strand verbrachten Tag Martha, deren Haut krebsrot ist und die wegen ihres Sonnenbrandes vor Schmerz fast ohnmächtig wird, zur Liebe zwingt.

 

(Quelle: Thomas Elsaesser: "Rainer Werner Fassbinder", Bertz Verlag GbR, Berlin, 2001, Seiten 439-441, Textübernahme mit freundlicher Erlaubnis des Autors)

   

  

Anmerkung

Aus rechtlichen Gründen durfte Martha 20 Jahre lang nicht im Kino gezeigt werden. In einer restaurierten Fassung erlebte der Film am 17.11.94 seine deutsche Erstaufführung im Kino.

Christian Braad Thomsen schreibt dazu: "Mit Martha wurde Fassbinder in einen merkwürdigen urheberrechtlichen Prozess verwickelt. Obwohl der Film unbestritten einer seiner persönlichsten ist, wurde festgestellt, dass die Handlung eine auffällige Ähnlichkeit mit Cornell Woolrichs Für den Rest des Lebens aufwies. Fassbinder erklärte, dass er den Text nie gelesen habe. Als er aber mit ihm konfrontiert wurde, musste er zugeben, dass die Ähnlichkeit auffällig war. Er konnte also nicht ausschließen, dass er die Geschichte möglicherweise einmal gelesen und wieder vergessen hatte, trotzdem aber eine unbewusste Erinnerung zurückgeblieben war. 

Woolrichs Erzählung handelt von einer Frau, die einen Sadisten heiratet, aber ihre Beziehung ist nur skizzenhaft beschrieben, und keine der Szenen zwischen Helmut und Martha findet sich bei Woolrich wieder, nur der Schlusskomplex mit Flucht, Autounglück und Martha "für den Rest des Lebens" im Rollstuhl ist in Film und Erzählung identisch.

Der WDR sah sich aus urheberrechtlichen Gründen verpflichtet, im Nachspann darauf hinzuweisen, dass der Film aus "Motiven einer Erzählung von Cornell Woolrich" beruhte, obwohl Fassbinder dies nicht bestätigen konnte, sondern mit größerem Recht behauptete, es sei seine ganz persönliche Ausgabe von Fontanes Effi Briest. Die Sache wurde so traumatisch für ihn, dass er anschließend einen ganzen Film, Satansbraten, auf dem merkwürdigen Zufall beruhen ließ, dass ein Dichter ein Gedicht schreibt, das wörtlich dem entspricht, dass ein anderer geschrieben hat, obwohl er keine bewusste Kenntnis seiner "Vorlage" hat.

Es mag verwundern, dass Fassbinder in diesem Zusammenhang nicht erwähnte, dass Martha vielmehr offenkundig von George Cukors Gaslight (Haus der Lady Alquist, 1944) inspiriert war. Auch Cukors Film handelt von einem Mann, der systematisch versucht, den Realitätssinn seiner Frau zu beeinträchtigen, indem er ihre Wirklichkeit verändert und sich ständig dem Hohn ihrer Umgebung ausliefert. Aber während es dem Mann bei Cukor und kostbare Diamanten geht und er also von kriminellen Motiven angetrieben wird, ist es bei Fassbinder ausschließlich die eigene Lust, die den Mann treibt. Und während der Masochismus der Frau kaum bei Cukor Thema ist, legt Fassbinder Wert darauf, diesen Masochismus zu beschreiben und als Element des traditionellen bürgerlichen Familienmusters zu verstehen. (ff)

 

(Quelle: Christian Braad Thomsen: "Rainer Werner Fassbinder - Leben und Werk eines maßlosen Genies", Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg, 1993, Seiten 162-163, Textübernahme mit freundlicher Erlaubnis des Autors)

  

   

  

  

 

E i n  U n t e r d r ü c k u n g s g e s p r ä c h

  

Vorgeführt am Beispiel einer Diskussion zwischen

Margit Carstensen und Rainer Werner Fassbinder

  

  

MC: Wie die Martha sich verhält, das kann ich mir eigentlich nur bei einer Kranken vorstellen.

  

RWF: Sie ist aber nicht krank, sie ist nur ganz so, wie es in allen anderen Frauen auch drin ist.

  

MC: Nicht in allen Frauen. Nicht in mir zum Beispiel. Oder wenn es so wäre, würde ich mich dagegen wehren.

  

RWF: Wie willst Du Dich gegen etwas wehren, was den Frauen tausend Jahre lang zugefügt worden ist. Und gleichzeitig sind sie dabei auch viel zu schwach gemacht worden, als dass sie sich überhaupt wehren könnten, selbst wenn sie die Idee dazu hätten. Wer sich wehren will, muss erstmal wissen wogegen und dann muss er die Kraft dazu haben.

  

MC: Du mystifizierst das. Es gibt immer mehr Frauen, die sich nichts mehr antun lassen von einem Mann.

  

RWF: Dir zum Beispiel kann jeder Mann alles antun, was er will. Ich könnte Dich unterdrücken...

  

MC: Bei der Arbeit, jetzt nicht mehr. Weil ich jetzt nicht mehr abhängig von Dir bin.

  

RWF: Das ist eine andere Art von Abhängigkeit, die ich meine, die hat nichts mit Dir und mit mir zu tun, sondern damit, wozu Frauen durch ihre Lage gebracht worden sind. Ein Mann kann Dich verletzen, er kann Dich demütigen...

  

MC: Das kann eine Frau auch gegenüber einem Mann.

  

RWF: Schon. Aber ein Mann kann eine Frau allein damit unterdrücken, dass er sie darauf aufmerksam macht, dass sie eine Frau ist. Das ist ja das Infame.

  

MC: Bei mir würde das nicht funktionieren.

  

P a u s e.

  

RWF: Frauen, die sich unterdrücken lassen, sehen oft schöner aus als Frauen, die sich wehren.

 

MC: Meinst Du? Sicher, weil sie wahrscheinlich weicher sind. Weil, wenn man sich wehren muss, kommt eine Art von Anspannung. Deshalb bin ich oft sehr hässlich.

  

RWF: In Martha bist Du schön.

  

MC: Was ich von dem Film gesehen habe, finde ich in der Wirkung sehr seltsam; das gefällt mir, es ist aber nicht unbedingt schön. Wenn ich da manchmal doch schön aussehe, dann kommt das daher, dass Martha sich zwar unterdrücken lässt, aber auch von dem Gefühl lebt, gegen ihre Unterdrückung anarbeiten zu wollen. In ihr ist eine Spannung zwischen Unterdrücktwerden und sich trotzdem auch unterdrücken lassen zu wollen.

  

RWF: Martha wird eigentlich nicht unterdrückt, sondern erzogen. Und diese Erziehung ist gleich Unterdrückung.

  

MC: Das Leben selbst ist ja ein ständiger Erziehungsvorgang. Das ist natürlich sehr reaktionär gedacht, aber ich sage das aus eigener, negativer Erfahrung. Das bedeutet nicht, dass ich das richtig finde.

  

RWF: Wehr Dich doch nicht dagegen. Du empfindest es doch als schön, oder?

  

MC: Ich kann mir natürlich auch eine andere Art von Erziehung vorstellen. Aber ich weiß, dass die Art und Weise, wie mein Vater mich erzogen hat, mich zu dem gemacht hat, war ich heute bin.

  

RWF: Wenn Martha zum Schluss des Films alleine nicht mehr lebensfähig ist, dann hat sie das erreicht, was sie eigentlich wollte.

  

MC: So weit würde ich nicht gehen. Ich meine, ich empfinde das als Resignation von ihr. Sie hat doch auch Anläufe zu einer Gegenwehr in diesem Film gemacht, sie reagiert doch auch gegenüber dem Vater, der Mutter und dem Mann, auch mit Aggressionen. Meinst Du denn wirklich, wie wäre glücklich zum Schluss?

  

RWF: Ja, ist sie das nicht? Sie hat diesen Schluss selbst herbeigeführt, insgeheim, und sie kann jetzt so sein, wie sie es immer schon war.

  

MC: Aber sie war nie einverstanden mit dem, was der Mann von ihr wollte.

  

Karlheinz Böhm als sadistischer Ehemann (Szene 2), Quelle: Einhorn-Film.

Martha..., Martha, kommst Du?

Foto: Einhorn-Film

RWF: Aber sie ist doch bei ihm geblieben.

    

MC: Aber sie ist doch auch weggelaufen vor ihm, wenn es auch Hysterie war.

  

RWF: Eben. Sie hat kein einziges Mal versucht, bewusst und klar einen vernünftigen Standpunkt zu ihrem Vater oder zu Helmut einzunehmen.

  

MC: Dazu ist sie zu unterentwickelt.

  

RWF: Was ist bei ihr unterentwickelt?

  

MC:  Das Bewusstsein zu ihr selbst. Sie lebt immer nur im Verhältnis zu anderen.

  

RWF: Das macht doch jeder Mensch.

  

MC: Das muss man ja auch zu einem großen Teil. Aber ich glaube irgendwie hat sie die Entwicklung zu sich selbst völlig verpasst. Sie hat wahrscheinlich gelernt, nur aus negativen Spannungen Anreize zu finden. Wie in der Beziehung zu ihrem Vater, der ihr alles verweigert hat, was sie beansprucht hat.

  

RWF: Warum macht sie denn keinen einzigen Versuch, mit Helmut zu sprechen?

  

MC: Vielleicht ist sie dazu nicht in der Lage, weil sie alles, was ihr passiert, nur erleidet, aber nie reagiert auch die Zustände, es verarbeitet, aber nie selber...

  

RWF: Sie verarbeitet etwas?

  

MC: Ich meine, damit lebt.

  

RWF: Oder davon.

  

MC: Wenn sie davon lebt, dann tut sie damit ihre Spannungen ab, auch in Hysterie. Nur verstehe ich dann den Schluss tatsächlich nicht: warum sie damit zufrieden sein soll.

  

RWF: Sie geht doch zu Helmut zurück.

  

MC: Weil sie keine andere Wahl hat, wenn sie auf dem Krankenbett liegt. Als er kommt, fängt sie an zu schreien und sagt "nein".

  

RWF: Und dann findet sie sich damit ab, weil sie letztlich ihre Erfüllung gefunden hat.

  

MC: Ich weiß nicht, ob das eine Erfüllung ist, wenn sie nur noch in ihrem Rollstuhl sitzt und nur deshalb nicht mehr von ihm gequält wird, weil sie jetzt an sich eine Gequälte ist.

  

RWF: Aber das wäre doch die große masochistische Erfüllung, nicht mehr lebensfähig zu sein.

 

MC: Aus meinen Möglichkeiten zu empfinden, kann ich mir nicht vorstellen, dass das das Ende der Geschichte sein kann.

  

RWF: Doch. Der Film erzählt nämlich eine Geschichte, die geht so: Wie wird diese Frau glücklich?

 

MC: Ja, das gilt für ihren Fall und ihre Möglichkeiten. Aber ich finde, sie ist auch rein gedanklich oder geistig auf eine Art unselbstständig, wie man es heute einfach nicht sein darf.

  

RWF: Wie man es nicht sein darf, wie es aber möglicherweise doch schön wäre, wenn man es sein dürfte?

  

MC: Ich finde das für einen Menschen zu wenig.

 

RWF: Sie ist ja nicht dumm, ist ist gebildet, es ist nicht so, dass man sagen kann: sie weiß nichts. Sie weiß mehr als die meisten Frauen. Sie traut sie nur, so zu sein wie andere Frauen sein wollen. Oder bist Du etwa für Emanzipation?

  

MC: Sicher bin ich für Emanzipation.

  

RWF: Unabhängig von Deinem Kopf? Auch allein zuhause in Deinem Bett?

 

MC: Da bin ich für Emanzipation.

  

RWF: Das glaube ich nicht, bei keiner Frau. Das würde ja heißen, dass die Frauen klüger sind als sie sich tatsächlich verhalten.

  

MC: Wenn sie alleine sind, sind sie für Emanzipation.

  

RWF: Die meisten Männer können nur nicht so perfekt unterdrücken, wie die Frauen es gerne hätten.

  

MC: Ich bin auf keinen Fall für Unterdrückung. Ich bin vielleicht manchmal für Anpassung.

  

RWF: Das ist das gleiche.

  

MC: Unterdrückung heißt, dass es einem unfreiwillig geschieht. Anpassung heißt, dass man es freiwillig tut.

 

RWF: Das ist ja noch viel schrecklicher.

 

MC: Man kann auch ein gemeinsames Leben und einem Grad von Anpassung aufbauen, der einen nicht total vereinnahmen muss. Übrigens kann ich das nicht. Eher unterdrücke ich den anderen.

 

RWF: Oder vielleicht doch er Dich. Du hast es Dir nur umgedacht.

 

MC: Nein. Weißt Su, ich bin ein Mensch, der ziemlich einsam leben muss.

 

RWF: Martha auch. Sie ist auf der Welt, um einsam zu sein oder um sich unterdrücken zu lassen. Und das, was dazwischen liegt, dass sich die meisten Menschen arrangieren, das kann Martha nicht. Einsam zu leben oder sich unterdrücken zu lassen zum Vergnügen, das bleibt den Frauen als Alternative.

  

MC: oder man muss als Frau in ständiger Angst leben, was man nicht immer sehr gerne tut. Trotzdem ist es heute möglich, mit einem Mann anders zu leben.

 

RWF: Dann müssten die Männer emanzipiert sein. Kennst Du einen emanzipierten Mann?

  

MC: Ich kenne keinen, von dem ich mich unterdrücken lassen würde.

 

RWF: Aber das ist doch nur ein Trick und zwar einer von Dir.

 

MC: Nein, es gibt so etwas wie eine freundliche Verpflichtung gegenüber jemand. Es gibt Gefühle, von denen heraus ich gern etwas für jemanden tue. Und ich mag Leute nicht gern im Stich lassen.

 

RWF: Jaja.

 

P a u s e

 

MC: Du bist ein ganz mieser Typ.

 

RWF: Sag ich ja.

 

MC: Wie soll ich jetzt wieder auf die Beine kommen?

  

(Quelle: Broschüre Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, Ausgabe Januar bis Juni 1974. Herausgeber: WDR-Pressestelle)

 

 

 

  

  

Schwierig aber schön

 

Kameramann Michael Ballhaus über seine Arbeit mit Fassbinder

 

Martha ist mein sechster Film mit Fassbinder. Mein erster Film war Withy, ein Western, den wir in Spanien gedreht haben. Ulli Lommel, der den Western produzierte, hatte Fassbinder eigentlich den Kameramann von Carlos Saura versprochen, dann platzte die spanische Coproduktion, und Dieter Lohmann, mit dem Fassbinder bis dahin seine Filme gedreht hatte, konnte nicht. Lommel schlug mich vor. Ich war begeistert, Fassbinder war abwartend, aggressiv und scheu - er lief mir immer weg, wenn ich von ihm wissen wollte, wie die Szene am nächsten Tag aussehen sollte.

  

Die Zusammenarbeit mit ihm war am Anfang nicht leicht, weil er ganz anders arbeitete, als die Regisseure, die ich bis dahin kennengelernt hatte. Ich hatte mit Lilienthal, mit Schaaf, mit Ulli und Peter Schamoni, mit Toelle und vielen anderen gedreht. Fassbinder erklärte einem seine Filme nicht gern.

 

Wenn er eine Szene entwickelt, tut er das sparsam und präzise, und am Anfang unserer Zusammenarbeit war er beleidigt, wenn ich nicht auf Anhieb alles genau so verstand, wie er es wollte. Fassbinder hat wie kein anderer Regisseur, den ich kenne, eine sehr, sehr genaue Bildvorstellung, er denkt in Film, und er denkt blitzschnell!

 

Eine Eigenart von ihm ist zum Beispiel, dass er sich oft Motive vor dem Drehen gar nicht ansieht. Er verlässt sich auf Kurt Raab, seinen langjährigen Architekten und auf den Kameramann. Aber mit welcher Genauigkeit und Sensibilität er einen Ort erfasst und eine Szene für diesen Ort konzipiert, ist faszinierend. Ich hab ihn gefragt, ob er bewusst diese Spannung erzeugt, und er sagte mir, es würde ihn halt manchmal langweilen, wenn er schon vorher alles kennt. Er braucht die Spannung, und er braucht die äußerste Konzentration auf den Augenblick. Durch diese äußerste Konzentration ist auch die Arbeit mit ihm so wahnsinnig schnell. Das bedeutet vor allem für den Kameramann, dass er genaue so präzise und schnell technische Anweisungen geben muss, dass er sich sofort in eine Situation einfühlen können muss, um all das zu übersetzen. In Sorrent haben wir einmal 53 Einstellungen an einem Tag gedreht. Das war bei Warnung vor einer heiligen Nutte. Wir hatten drei Tage gedreht und Fassbinder musste umbesetzen. An einem Tag haben wir dann mit anderen Schauspielern die ersten drei Tage nachgedreht - aber nicht etwa Schnellschuss, sondern mit äußerster Genauigkeit und mit höchsten Schwierigkeitsgraden.

 

Von den Filmen, die ich bisher mit Fassbinder gemacht habe, liebe ich Martha am meisten. Bei Martha hatten wir für Fassbinders Verhältnis viel Zeit: 26 Drehtage. Fassbinder wollte, dass ich den ganzen Film nur mit einer Optik fotografiere, ohne Zoom. Wir haben dieses Prinzip bis auf wenige Ausnahmen durchgehalten und das, nachdem wir vorher bei Welt am Draht die ganze Skala der technischen Möglichkeiten durchgespielt hatten. Diese Beschränkung zwang zu neuen Überlegungen und neuen Anstrengungen, und ich merkte, dass der Film durch diese Art der Fotografie eine Strenge und Geschlossenheit bekommt, wie sie anders nicht zu erreichen gewesen wäre. Um die Strenge der Bilder noch zu steigern, habe ich mich bemüht, ein ganz auf die jeweilige Situation bezogenes, nicht unbedingt realistisches Licht zu machen - die Charaktere der Figuren durch spezielle Lichteffekte zu unterstreichen, die Farben weitgehend zurückzudrängen, da wo äußere Umstände, wie Sonnenschein und grelle Farben vorhanden waren, durch technische Tricks Farben zu eliminieren oder zu verfremden.

 

Die Bewegungen in Martha haben etwas Kostbares, sind nicht schnell und flüchtig. Eine Kamerafahrt mag ich besonders. Es ist die erste Begegnung zwischen Helmut und Marta im Hof der deutschen Botschaft in Rom. Ich hatte mir vorgestellt, dass diese Szene für den Zuschauer sich ganz stark einprägen müsste, weil Helmut erst nach 15 Minuten wieder auftritt, und ich schlug Fassbinder vor, eine Fahrt auf Martha zu machen, die auf ihr dreht und Helmut ins Bild bringt. Er steigerte diesen Vorschlag und sagte, dann solle ich auch wirklich ganz um beide herumfahren, während sie aufeinander zugehen und aneinander vorbei. Da war schwierig, aber auch ungewöhnlich schön.

 

Wenn ich über die Arbeit mit Fassbinder berichte, muss gesagt werden, dass vieles von dem, was wir erreichen wollten, nicht ohne ein eingespieltes, ganz professionelles Team zu erreichen gewesen wäre. Wir hatten in den letzten Produktionen beim WDR Bedingungen, wie sie in Deutschland nicht besser zu finden sind. Vom Produktionsleiter Fred Ilgner über den Oberbeleuchter Ernst Küsters bis zu meinem Assistenten Ulli Prinz waren alle voll engagiert für ihre Arbeit. Das merkt man dann halt einem Film auch an! 

 

(Quelle: Broschüre Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, Ausgabe Januar bis Juni 1974. Herausgeber: WDR-Pressestelle)

  

  

    

  

  

 

 

 

 

 

Layout: Rosemarie Kuheim

Bearbeitet: 10. Oktober 2020

  

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Die Filmaushangfotos wurden mir freundlicherweise von Einhorn-Film zur Verfügung gestellt.