Bolwieser 1976
Filmliste Rainer Werner Fassbinder
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Regie |
Rainer Werner Fassbinder |
Drehbuch |
Rainer Werner Fassbinder (nach dem Roman von Oskar Maria Graf von 1931) |
Produktion |
Bavaria (im Auftrag des ZDF) |
Ausstattung |
Kurt Raab |
Kamera |
Michael Ballhaus |
Schnitt |
Ila von Hasberg, Juliane
Lorenz; für die Kinofassung auch Franz Walsch (d.i. RWF) |
Musik |
Peer Raben |
FSK |
ab 12 Jahre |
Länge |
TV-Fassung 201 Minuten (2 Teile). Eine von RWF autorisierte Fassung (112 Minuten) ist aus Rechtsgründen erst seit 1993 verfügbar. Zum 20-jährigen Todestag Fassbinders wurde Bolwieser im Sommer 2002 im Fernsehen wiederholt. |
Sonstiges |
- |
Filmbeschreibung |
www.fassbinderfoundation.de |
Ur-/Erstaufführung |
Kinostart 10. Juni 1983 |
Genre |
Drama, Beziehung, Liebe, Hörigkeit |
Darsteller |
Rolle |
Xaver Ferdinand Maria Bolwieser |
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Hanni Bolwieser |
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Frank Merkl, Metzger und Gastwirt |
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Schafftaler, Frisör |
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Armin Meier |
Scherber, Aspirant |
Mangst, Sekretär |
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Windegger |
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Neidhart, Hannis Vater |
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Frau Neidhart |
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Stempflinger |
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Hannes Kaetner |
Lederer |
Gusti Kreißl |
Frau Lederer |
Helmut Alimonta |
Hartmannseder |
Treuberger |
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Finkelberger, Rechtsanwalt |
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Gerhard Zwerenz |
Fährmann |
Helmut Petigk |
Wirt |
Sonja Neudorfer |
Wirtin |
Monika Teuber |
Mariele |
Nino Korda |
Rechtsanwalt |
Hannes Gromball |
Richter im Amtsgericht |
Alexander Allerson |
Vorsitzender |
Manfred Gunther |
Richter in Werburg |
Adolph Gruber |
angeklagter Bauer |
Zeugin |
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Frau Käser |
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Reinhard Weiser |
Sailerbub |
Krankenschwester |
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Animierdame |
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Monica Gruber |
Kellnerin |
Renate Muhri |
Hure |
Katharina Buchhammer |
Barwirtin |
Inhalt
1976/77 vollendete Fassbinder eine seiner ambitioniertesten Arbeiten für das Fernsehen, den dreieinhalbstündigen Zweiteiler Bolwieser, die Verfilmung eines Romans von Oskar Maria Graf aus dem Jahr 1931. Der Film war ein Erfolg bei Publikum und Kritik und belegte dadurch den Mangel an Fernsehspielen, die sich mit den Deutschen und ihrer Geschichte auseinandersetzten. Indem er einen regionalen, fast in Vergessenheit geratenen Autor wie Graf wählte, setzte er sich von den üblichen Klassiker-Literaturvorlagen ab und schürfte dort weiter, wo er bereits mit Fontane Effi Briest begonnen hatte: bei einer Reinterpretation der realistischen Tradition der deutschen Literatur als Einstieg in eine deutsche Sozialgeschichte. Fassbinder bereitete auch eine Kinoversion von Bolwieser und schnitt das Material auf 112 Minuten herunter, aber aufgrund von Copyright-Problemen erlebte der Film seine Aufführung erst 1993, erntete aber auch dank des ersten Jahrestags von Fassbinders Tod ein gewisses Maß an Ruhm.
Bolwieser erzählt die Geschichte einer sexuellen Hörigkeit vor dem Hintergrund einer Gesellschaft, die von moralischem Verfall
und einer sich ankündigenden Krise gekennzeichnet ist. Bolwieser (Kurt Raab), ein Eisenbahnangestellter mit dem Ehrgeiz, Stationsvorsteher zu werden, heiratet Hanni (Elisabeth Trissenaar), die Tochter eines wohlhabenden Brauereibesitzers (Gustl Bayrhammer), der für seinen Schwiegersohn bloß sadistische Verachtung empfindet. Von einem Geliebten seiner Frau angezeigt, landet Bolwieser im Gefängnis und wird nach der Verbüßung seiner Strafe zum Landstreicher, bevor er schließlich an einem abgelegenen Ort die Stelle des Fährmanns übernimmt.
Der Film konzentriert sich auf die allmähliche Selbstzerstörung eines typischen deutschen Kleinbürgers, der von seinen Kollegen gepeinigt, von seinen Verwandten ausgebeutet und von seiner Frau betrogen wird. Es scheint, als sei Bolwieser ein weiterer von Fassbinders rigorosen Masochisten, der ausgebeutet werden und von den Launen seiner Frau abhängig sein will und dessen unterwürfiger Geist ihn zum idealen Werkzeug von Totalitarismus und charismatischer Diktatur werden lässt. In dieser Hinsicht erweist sich Bolwieser als eine andere Variante von Madame Bovary (und Effi Briest), nur eben erzählt aus der Perspektive des betrogenen Ehemannes, der sein Leiden und seine Erniedrigungen genießt und sich von der Bigotterie und dem Neid ernährt, die seine Kleinstadtumgebung auf ihn projiziert. Aber Bolwieser ist auch ein kleinbürgerlicher Professor Unrat (so der Titel von Heinrich Manns Roman, der literarischen Vorlage zu "Der blaue Engel" [1930; R: Joseph von Sternberg], der wiederum Fassbinder bei Lola als Anregung gedient haben soll) und zwar ein Hahnrei, eine gängige Figur des Wilhelminismus und der Weimarer Zeit, deren Potential männliche Ängste zu evozieren, Fassbinder routiniert ausschöpft. (ff)
(Quelle: Thomas Elsaesser: "Rainer Werner Fassbinder", Bertz Verlag GbR, Berlin, 2001, Seiten 456-458, Textübernahme mit freundlicher Erlaubnis des Autors)
... Der erste Teil von Bolwieser endet mit dem furchtbaren Bild der Frau, die in ihr Spiegelbild spuckt, weil sie sich ihrer eigenen Sehnsucht schämt, und der zweite Teil hat seinen dramatischen Höhepunkt, als die Frau versucht, sich von dem einengenden Band der gesellschaftlichen Moral zu befreien, und sich von der Polizei und dem Strafsystem dieser Gesellschaft helfen lassen muss, um den Mann loszuwerden, der sie so, wie sie ist, geliebt hat und mit dem sie aus genau diesem Grunde auch gerne wieder zusammenleben würde. Bolwieser ist von einem tiefen Schmerz getragen, dass die Opfer in dieser Gesellschaft deren Unterdrückungsmechsnismen verstärken. Das Mitgefühl mit Opfer und Henker ist gleich groß, denn Fassbinder weiß, dass beide von der gleichen aufreibenden Sehnsucht getrieben werden und dass die ihnen aufgezwungenen Rollen Strafe genug sind dafür, dass sie nicht imstande sind, an ihrer Identität festzuhalten. Wohin diese Rollen und dieser Identitätsverlust führen, wird durch die braunen Uniformen angedeutet, die diskret gegen Ende des Films auftauchen.
(Quelle: Christian Braad Thomsen: "Rainer Werner Fassbinder - Leben und Werk eines maßlosen Genies", Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg, 1993, Seite 298, Textübernahme mit freundlicher Erlaubnis des Autors)
Werburg, eine kleine bayerische Provinzstadt in den zwanziger Jahren: Hier ist die Welt noch ganz und gar, zumindest an der Oberfläche, in Ordnung. Einer der geachtetsten Bürger der Stadt, der Stationsvorsteher Xaver Bolwieser, lebt hier mit seiner jungen, adretten Frau Hanni das beschauliche Leben eines mit sich und der Welt zufriedenen Kleinbürgers. Hanni, Tochter des Passauer Brauereibesitzers Neithart, ist Xavers ein und alles: Hanni nennt ihren Xaver, den sie tagsüber mit gutem Essen und nachts mit ihrem appetitlichen Körper verwöhnt, zärtlich und liebevoll ihr "Dickerl". Diese Kleinbürgeridylle würde wohl noch andauern, wenn da nicht eines Tages der ehemalige Schulfreund von Hanni, der Gastwirt Franz Merkl, in die Stadt gekommen wäre und als Pächter die Torbräuwirtschaft übernommen hätte. Die lebenslustige Hanni nimmt bald die Gelegenheit wahr, die Bekanntschaft mit dem einstigen Schulfreund, der sich zu einem gestandenen Mannsbild entwickelt hat, aufzufrischen. Sie wird recht häufig Gast beim Torbräuwirt, und das nicht nur zu Zeiten, da die Wirtschaft geöffnet hat. Der gutmütige Bolwieser denkt sich zunächst nichts Böses; die Mitbürger denken sich dafür um so mehr. Es dauert nicht lange, und in der Stadt geht das Gerücht um, dass die Frau Stationsvorsteher ihr "Dickerl" betrügt. Der Tratsch kommt eines Tages auch Bolwieser zu Ohren. In ihm keimt ein furchtbarer Verdacht: Hat er nicht eines Abends spät, als er Nachtdienst hatte und zufällig noch einmal die Wohnung aufsuchte, das Ehebett leer gefunden? Freilich kann Hanni den Verdacht des Ehemannes wieder zerstreuen. Er macht es ihr allerdings auch leicht. Er wagt einfach nicht, der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, aus Angst, sonst seinen einzigen Besitz zu verlieren. Er willigt sogar in den Vorschlag Hannis ein, das von ihrem Vater ererbte Geld dem Torbräuwirt zu leihen, damit dieser die von ihm in Pacht betriebene Gastwirtschaft käuflich erwerben kann. Ebenso willigt er in den gemeinsamen Vorschlag von Hanni und Merkl ein, den in der Stadt herumschwirrenden Gerüchten offen entgegenzutreten, indem man die ärgsten "Verleumder" vor Gericht verklagt. Der Prozess in München bringt denn auch vollen Erfolg. Der "Verleumder" können Hannis und Merkls ehebrecherisches Verhätnis nicht beweisen und werden dazu verurteilt, in der Lokalpresse eine Ehrenerklärung abzugeben. Bolwieser freilich begeht eine große Dummheit. Aus dem Gefühl heraus, seiner Hanni helfen zu müssen, macht er vor Gericht eine meineidliche Aussage. Er behauptet, an jenem Abend, als er Nachtdienst hatte, nicht noch einmal in die Wohnung zurückgekehrt zu sein. Dass es anders war, weiß leider nicht nur das Ehepaar Bolwieser, sondern auch der Torfbräuwirt Merkl, der nicht hinnehmen mag, dass Hannis Liebe zu ihm mehr und mehr erkaltet und sie nichts mehr von ihm wissen will.
Hanni hat nämlich inzwischen ihr Interesse dem Friseur Schafftaler zugewendet. Dieser macht aus der einfachen und provinziellen Hanni eine elegante und modische Dame. Das imponiert ihr. Ihren Mann, der seinen Kummer in Alkohol zu ertränken sucht und psychisch und körperlich immer mehr verfällt, sich aber trotzdem nach wie vor an seine Hanni unterwürfig klammert, behandelt sie mit zunehmender Verachtung und Bösartigkeit. Nur ab und zu flackert Widerstand auf. Dann schlägt er seine Frau, nimmt sie mit Gewalt oder tobt sich bei Prostituierten in München aus. Dann versinkt er wieder in Apathie.
Das Geschehen läuft nun unaufhaltsam auf die Tragödie zu. Hanni fordert von Merkl das geliehene Geld zurück, denn das kann sie inzwischen besser für den Umbau des Friseurgeschäftes gebrauchen. Merkl sieht seine Existenz gefährdet und nimmt Rache. Er zeigt Bolwieser anonym wegen Meineids an. Der gebrochene Bolwieser gesteht ohne Zögern. Die Zuchthausstrafe sitzt er als stiller, duldender Gefangener ab. Hanni lässt sich von dem Zuchthäusler scheiden und heiratet den Frisör.
Jahre später verlässt ein verwilderter und stumpfsinniger Mann das Gefängnis, setzt sich in die Eisenbahn, steigt irgendwo aus, irrt durch die Gegend und findet bei einem alten Fährmann Unterschlupf. Er erzählt dem Fährmann seine Geschichte. Es ist Bolwieser. Er bleibt und wird nach dem Tode des Alten selbst Fährmann, "wie fortgeweht aus dem Menschlichen. Nur das unablässige Auf und Ab der Elemente rührt ihn noch".
(Quelle: Broschüre Das Fernsehspiel im ZDF, Heft 17, Juni - August 1977, Seite 27-29, herausgegeben von der Pressestelle des Zweiten Deutschen Fernsehens)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 10. Oktober 2020
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Szenefotos mit freundlicher Genehmigung von Einhorn-Film |