Angst vor der Angst 1975
Filmliste Rainer Werner Fassbinder
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Regie |
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Drehbuch |
Rainer Werner Fassbinder (nach der Erzählung "Langsame Tage" von Asta Scheib) |
Produktion |
Peter Märthesheimer, WDR |
Bauten |
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Kamera |
Jürgen Jürges, Ulrich Prinz |
Musik |
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FSK |
ohne |
Länge |
88 Minuten |
Sonstiges |
- |
Filmbeschreibung |
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Ur-/Erstaufführung |
TV-Ausstrahlung am 8. Juli 1975 (ARD) |
Genre |
Drama |
Darsteller |
Rolle |
Margot |
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Ulrich Faulhaber |
Kurt |
Kurts Mutter |
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Lore |
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Armin Meier |
Karli, Lores Mann |
Adrian Hoven |
Apotheker Dr. Merck |
Herr Bauer |
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Edda |
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Lilo Pempeit |
Frau Scholl |
Helga Märthesheimer |
Frau Dr. von Unruh |
Herbert Steinmetz |
Dr. Auer |
Dr. Rozenbaum |
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Constanze Haas |
Bibi |
Inhalt
Die Ehe von Margot und Kurt verläuft still, ohne große Ereignisse, ohne große Aufregungen, auch ohne große Gefühle - eine unauffällige Beziehung von der Art, die man "harmonisch" nennt. Margot und Kurt leben im Haus von Kurts Mutter, auch seine Schwester und deren Mann leben dort. Das bringt Reibereien mit sich, gelegentlich sogar offene Konflikte, wenn die Mutter sich allzu aufdringlich in Margots Leben einmischt. Aber weil nicht viel Geld da ist, ehe Kurt nicht sein Abendstudium hinter sich gebracht hat, wird das hingenommen, auch von Margot: man muss sich anpassen können, man muss sich einfügen lernen, man muss sich vielleicht auch einmal unterordnen, wenn die Umstände danach sind. Und außerdem hat Margot viel zu tun, das lenkt ab; sie muss den Haushalt machen, sie muss für Kurt sorgen, und sie muss sich schließlich um Bibi kümmern, die von Margot über alles geliebte Tochter. Es mag sein, dass Bibi der einzige Mensch in Margots Leben ist, den sie wirklich uneingeschränkt, aus ganzem Herzen zu lieben vermag - und von dem sie das gleiche erfährt.
Eines Tages, an einem ebenso schönen wie unscheinbaren Frühlingstag, Margot erwartet ihr zweites Kind, zerreißt diese brüchige Idylle, und wie mit einem Schlag ist Margots Leben verändert. Gewissermaßen aus heiterem Himmel wird Margot überfallen von Angst - einer Angst, die sie niemandem beschreiben kann, geschweige denn, dass sie ihre Ursache wüsste, oder auch nur, wovor sie Angst hat. Angesichts der Hilflosigkeit ihres Mannes und ihrer Verwandten, angesichts der Ratlosigkeit der Ärzte, die mal eine Depression, mal eine Schizophrenie diagnostizieren und Beruhigungsmittel verschreiben, verkriecht sie Margot, zieht sich in sich selbst zurück. Künftig, das weiß sie, wird sie mit der Angst vor der Angst leben müssen, und keiner wird ihr helfen können.
(Quelle: Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, Ausgabe Juli bis Dezember 1975. Herausgeber: WDR-Pressestelle)
Hinweis zur Autorin: Asta Scheib 35 Jahre, lebt als Hausfrau und Mutter mit zwei Kindern in Schweinfurt. Sie schreibt gelegentlich für eine Lokalzeitung, hat auch schon einige Beiträge für eine Frauenzeitschrift gemacht. Die Vorlage zum Film Angst vor der Angst hat sie in Form einer Erzählung aufgeschrieben und direkt an Rainer Werner Fassbinder geschickt, dessen Filme sie sehr schätzt. Fassbinder hat die Vorlage von Frau Scheib fast unverändert für sein Drehbuch übernommen.
(Quelle: Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, Ausgabe Juli bis Dezember 1975. Herausgeber: WDR-Pressestelle)
Angst vor der Angst ist ein weiterer Frauenfilm mit Margit Carstensen in der Hauptrolle. Er beruht auf einem Text der 35jährigen Hausfrau Asta Scheib. Ohne jede äußere Handlung stellt der Film in stillen, unpolemischen Szenen Betrachtungen über eine ganz gewöhnliche bürgerliche Ehe an. Margot lebt in sehr geborgenen und geordneten Verhältnissen, ihr Mann ist aufmerksam und verständnisvoll, wenn auch sehr in seine Prüfungsvorbereitungen vertieft, aber während ihrer Schwangerschaft wird sie von Angst befallen, und nach der Geburt kommt dieses unerklärliche Angstgefühl ständig zurück. Margot wird für ihre nächste Umgebung zur Fremden, kann weder sich selbst noch anderen erklären, was passiert. Als sie ärztliche Hilfe sucht, bekommt sie dasselbe zu hören, wie vorher schon Herr R. und Franz Biberkopf in entsprechenden Situationen: "Organisch ist alles in Ordnung". Der Arzt verordnet statt dessen Valium, zwecks Beruhigung der Nerven, und als das nicht länger hilft, versucht sie es auf eigene Faust mit Cognac und anderen betäubenden Substanzen und mit einer kurzen sexuellen Beziehung zu dem Apotheker, der ihr Medizin gibt. Einen Selbstmordversuch gibt sie zwar rechtszeitig auf, wird aber immer tiefer in eine undurchdringliche Isolation getrieben. Die Schraube ist ohne Ende, denn je mehr sie versuchen muss, ihre scheinbare Anomalie vor ihrer Familie zu verstecken, desto unnormaler fühlt sie sich und desto stärker ist die Angst, entdeckt zu werden. Hin und wieder hatte Margot bei ihren Spaziergängen mit ihrem Kind einen ungepflegten, etwas verzweifelt aussehenden Nachbarn auf der Straße getroffen, vor dem sowohl Margot als auch das Kind Angst haben. Er sieht aus wie ein Sittenstrolch und ist ein paarmal hinter ihnen hergegangen, um Kontakt mit ihr aufzunehmen. Fassbinder verwendet parallele Schnitte oder sogar Schwenks zwischen dem Fremden und dem freundlich aussehenden Apotheker. Während einer der kurzer Begegnungen Margots mit dem Apotheker zieht dieser einen etwas schäbigen Mantel über seinen weißen Apothekerkittel, so dass er dem Fremden ähnlich sieht. Dann küsst er Margot, und sie bedankt sich, als hätte sie Medizin von dem Apotheker bekommen. In der letzten Szene erfährt Margot unerwartet, dass der Nachbar Selbstmord begangen hat, und während des Nachspanns sieht sie von ihrem Fenster aus, wie die Leiche aus dem Haus getragen wird, zuvor hat Margot erklärt, dass es ihr gut geht. Der Schluss des Films ist aber ganz offen. Wir müssen selbst entscheiden, ob der Selbstmord des Nachbarn Margot wieder in näheren Kontakt mit dem Alltag bringen wird oder ob sie in ihrer Verzweiflung riskiert, eines Tages wie er zu handeln.
(Quelle: Christian Braad Thomsen: "Rainer Werner Fassbinder - Leben und Werk eines maßlosen Genies", Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg, 1993, Seite 240-241, Textübernahme mit freundlicher Erlaubnis des Autors)
Die Perspektive von Angst vor der Angst ist klinischer als bei Martha. Margit Carstensen spielt eine Kölner Hausfrau, die von anscheinend grundlosen Angstzuständen gequält wird, was zu einem Selbstmordversuch und endlosen Besuchen bei Ärzten, Apothekern und Psychotherapeuten führt. Eine der wirklich verstörenden Szenen (weil zwischen Horror und Farce changierend) ist die kurze Begegnung mit einem verrückten Nachbarn, der später erhängt in seiner Wohnung aufgefunden wird. Die Tatsache, dass dieser Nachbar von Kurt Raab gespielt wird, zeigt die große Nähe zu Warum läuft Herr R. Amok?. Aber anders als die frühere Arbeit ist Angst vor der Angst, insbesondere bezüglich der Denunziation des Milieus, eine Studie über den psychologischen Grenzbereich des Normalen. Ein weiteres Mal - und das ist typisch für die Melodramen - gilt die Sympathie allen (Haupt)figuren. Margit Carstensen gehört zu den sehr wenigen Fassbinder-Schauspielerinnen, die fähig waren, ein derart überzeugendes Porträt eines komplexen und extremen psychischen Zustandes zu liefern. Trotz soziologischen Beweismaterials für ihre Angstzustände, wie zum Beispiel dem Schrecken, der von der spießig-ordentlichen Nachbarschaft mit gepflegten Vorgärten ausgeht, zeigt Carstensens Darstellung, dass für die namenlose Angst, die nach ihr greift, keine andere Erklärung nötig ist als das Schweigen des Universums, das eine sensible und zweifelnde Seele erstickt.
(Quelle: Thomas Elsaesser: "Rainer Werner Fassbinder", Bertz Verlag GbR, Berlin, 2001, Seite 444, Textübernahme mit freundlicher Erlaubnis des Autors)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 10. Oktober 2020
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