"Warum bin ich ein Deutscher"
Zum 60. Geburtstag von Rainer Werner Fassbinder
von Veronika Rall
(mit
ihrer freundlichen Genehmigung)
«Wenig
mehr als ein Jahrzehnt hatte Rainer Werner Fassbinder, um sich durchzusetzen»
schreibt der Filmhistoriker Thomas Elsaesser, aber «zwischen 1969 und 1982 veränderte
er die Vorstellung, die man vom modernen Kino haben konnte.» Gleichwohl ist der
sechzigste Geburtstag, den dieser Revolutionär des Kinos dieses Jahr gefeiert hätte,
in Deutschland den Filmmuseen keine Retrospektive wert — in Berlin kümmert
man sich um
Marika Rökk, in München genießt der Nazi-Filmer
Veit
Harlan eine
Retro, in Potsdam wird die Filmfabrik des Nationalsozialismus, Babelsberg, als Märchenland
vorgestellt, in Frankfurt geht es um
Hardy
Krüger. Aber in Paris wird der
Chronist der inneren Geschichte der Bundesrepublik in einer riesigen Ausstellung
im Centre Georges Pompidou gefeiert, in Zürich widmet man ihm eine
Retrospektive, die ca. 25 seiner Filme umfassen wird. Das ist insofern
symptomatisch, als Fassbinder schon immer eher nach außen hin als Repräsentant
des deutschen Kinos galt, während er im eigenen Land kaum richtig wahrgenommen
wurde. «Oft frage ich mich, wo stehe ich in der Geschichte meines Landes? Warum
bin ich ein Deutscher?» fragt Fassbinder noch 1981 in einem Interview.
Am
31.5.1945 geboren, kurz nach der Kapitulation des Deutschen Reiches, lebt
Fassbinder schon immer an einer Schnittstelle, und seine Biografie zeigt, dass
er nur geringe Chancen hatte, sich in der deutschen Nachkriegsgesellschaft
heimisch zu fühlen. 1951 lassen sich seine Eltern scheiden, Fassbinder wächst
zunächst bei seiner Mutter auf, als sie an Tuberkulose erkrankt, kommt der
Junge ins Heim. Kurz vor dem Abitur schmeißt der die Schule, arbeitet im
Hausverwaltungsbüro seines Vaters, ab 1963 beginnt er, Schauspielunterricht zu
nehmen. Kurz darauf interessiert er sich für den Film, doch keine der kurz
zuvor gegründeten Filmhochschulen will ihn aufnehmen. Fassbinder wird
Autodidakt, schreibt Stücke, dreht erste Kurzfilme.
«Liebe
- kälter als der Tod», sein erster Spielfilm, bleibt noch weitgehend
unbeachtet, doch für
«Katzelmacher»,
basierend auf einem Fassbinder-Stück, erhält er bereits das Filmband in Gold für
Buch, Regie und Produktion beim Bundesfilmpreis 1970.
Die
sechziger Jahre sind in der Bundesrepublik (ähnlich wie in Frankreich oder
Italien) Aufbruchszeiten, unter dem Motto «Papas Kino ist tot» unterzeichnen
eine ganze Reihe junger Filmautoren 1962 das
«Oberhausener
Manifest». Anders
Fassbinder: Er bleibt Einzelgänger, scharrt eher eine Reihe von
SchauspielerInnen und anderen Groopies um seine Person. Und er will eher
Kontinuitäten zwischen dem Nationalsozialismus und der jungen Bundesrepublik
erkennen als einen wirklichen Bruch und einen Neuanfang. Die Tatsache, dass er
1945 geboren wurde, begreift er als Symptom und als Auftrag. So beginnt etwa
einer seiner berühmtesten Filme,
«Die
Ehe der Maria Braun» (1978), über einem Porträt von Adolf Hitler, um über
fotografischen Negativen von Adenauer, Ludwig Erhardt, Kurt Kiesinger und Helmut
Schmidt zu enden.
Aber
auch filmästhetisch macht Fassbinder alles anders als seine Kollegen. Mit der
neuen, flexiblen 16mm Kamera arbeitet er nur, wenn es die Finanzen nicht anders
erlauben, er liebt das 35mm Format und das große Kino à la Hollywood — oder
noch brisanter formuliert: à la Babelsberg. Fassbinder ist der einzige deutsche
Regisseur der Nachkriegszeit, der sich nicht an das dem Kino des
Nationalsozialismus unweigerlich folgende Bilderverbot hält, ganz im Gegenteil:
Er reizt es bis zur ungebrochenen Identität aus, am spektakulärsten sicherlich
in
«Lili
Marleen» (1981), der die Geschichte der Sängerin Lale Andersen erzählt,
und dabei auf keinen Funken der Glamour-Kitsch-Nazi-Nostalgie verzichtet. Doch
indem Fassbinder die persönliche Geschichte der Frau erzählt, analysiert er
auch die Macht der Medien. Der Auftritt
Hanna
Schygullas als «Lili Marleen»
wird von mal zu mal perfekter, bis sie schließlich — Berlin liegt schon im
Bombenhagel — als unzweideutige Ikone faschistischer Gewaltästhetik vor einer
riesigen Hakenkreuzflagge auftritt. Massenmedien und Kriegsführung, Konsum und
Materialschlacht ähneln sich bis zur Ununterscheidbarkeit.
Doch
auch dort, wo Fassbinder ein Projekt gemeinsam mit seinen Kollegen beginnt,
macht er alles anders. So zum Beispiel im Episodenfilm
«Deutschland
im Herbst» (1977/ 78), ausgelöst durch den sogenannten Deutschen Herbst
von 1977. Hier tritt Fassbinder selbst vor die Kamera, er stellt sich selbst,
seinen zerstörten Körper und seine Verzweiflung, seinen Schmerz und seine
Widerständigkeit aus. Er schwitzt, obwohl er nackt ist. Immer wieder streicht
er sich mit einer Hand die nassen Haare aus dem Gesicht. Er trinkt Wein. Er
raucht. Er kokst. Er übergibt sich. Er ist allein mit sich, manchmal mit seiner
Mutter oder mit seinem Geliebten. Und immer wieder greift er zum Telefon. Erzählt
von der Entführung eines Flugzeugs nach Mogadischu, später fassungslos davon,
dass drei Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF), Andreas Baader, Gudrun
Ensslin, Jan-Carl Raspe, im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Stammheim
Selbstmord begangen haben. Trotzdem ist das bemerkenswerte Filmstück kein
Homemovie: Die Beleuchtung ist minutiös geplant, die Kamera führte kein
geringerer als
Michael
Ballhaus (der inzwischen mit und für Martin Scorsese dreht), den Schnitt
besorgte wie bei vielen Fassbinder-Filmen Juliane Lorenz. Die radikale
Selbstausstellung hat also klar etwas von einer perfekten Selbstinszenierung und
diese Mischung ist vielleicht symptomatisch für Fassbinders Arbeit,
symptomatisch für die «Faszination Fassbinder», die sich mehr als zwanzig
Jahre nach seinem Tod noch an jedem seiner Filmbilder ablesen lässt.
Die
Faszination Fassbinder hat aber nicht nur mit der perfekten Ästhetik seiner
Filmbilder zu tun, sondern auch mit den Geschichten, die er erzählt. Und um zu
erzählen, greift er zu ganz traditionellen Strukturen: «Keiner», hat
Fassbinder einmal gesagt, «will sich nochmal ansehen, dass es ihm schlecht
geht, das weiß er ja selbst schon». Damit er sich den Schmerz nochmals
anschaut, braucht es keine klare Erzählstruktur und vor allem einen Held, eine
Heldin: «Ein Held ist dazu da, dass er tut, was der Zuschauer gerne täte, was
zu tun er sich aber nicht traut. Und was die Wirklichkeit angeht, muss der Held
ja nicht wirklich gewinnen, aber er muss sich Mühe geben.»
Fassbinder-Figuren
sind Gezeichnete, Geschlagene, Gequälte, schon in seinen ersten Gangster-Filmen
wie «Liebe - Kälter als der Tod» (1969) ist das Leben kein lebbares, zu
gefangen sind die Figuren — in diesem Fall die Prostituierte Joanna, ihr Zuhälter
Franz und der attraktive Bruno — in ihren Rollen aber auch ihn ihren Gefühlen.
Vielleicht ist Martha in dem gleichnamigen Spielfilm von 1973/ 74 am schlimmsten
dran, die nach einer Kindheit der Unterdrückung durch ihre Eltern, die sie
frigide werden lässt, an den Sadisten Helmut gerät. In
«Martha»
dekliniert Fassbinder die Mechanismen der Gewalt, der Herrschaft von Menschen über
Menschen bis ins Detail durch. Aber auch die Haltung der Masochistin schaut sich
die Kamera genau an: Martha Hyer, wohnhaft in der Douglas-Sirk-Straße in
Konstanz, die selbst mit einem Ganzkörpersonnenbrand einen brutalen Liebesakt
über sich ergehen lässt, dessen Schmerz bis in den Kinoraum strahlt.
Vielleicht
muss aber auch der Franz Biberkopf in
«Faustrecht
der Freiheit» — wie überhaupt so viele Figuren bei Fassbinder Franz
heißen, als hätte ihn Alfred Döblins
«Berlin,
Alexanderplatz» zeit seines Lebens fasziniert — das bitterste Leben leben,
sein Sterben ist sicherlich das Schlimmste, was Fassbinder je auf die Leinwand
gebracht hat: Nachdem der naive Homosexuelle für kurze Zeit in der Münchner
Schwulenszene reüssiert, weil er beim Lotto eine halbe Million deutsche Mark
gewonnen hat, krepiert er schließlich an einer Überdosis Schlaftabletten in
den U-Bahn, während ihn ein paar Kids ausrauben und mit Tritten quälen.
Diesen
Franz Biberkopf hat Fassbinder wieder selbst gespielt. Es ist ein Stück weit
sicherlich ein Selbstporträt, nur eines war Fassbinder selbst nie: Naiv. Aber
es gab in ihm diesen Wunsch, naiv sein, an die Menschen glauben zu dürfen, und
das Bedürfnis, diesen Wunsch auszustellen. Auch seine Schauspieler (und vor
allem seine Schauspielerinnen) inszeniert Fassbinder an dieser
Demarkationslinie: Er macht sie einerseits zu unnahbaren Stars, andererseits
stellen die zahlreichen Nächst- und Nahaufnahmen wieder eine unmittelbare Nähe
zu den Leinwandpersonen her, sie stellen sich dem Blick des Publikums, fordern
ihre Macht ein, blicken zurück. Das macht sie gleichzeitig so unnahbar und so
verletzlich, so provozierend und so nackt.
Im
wirklichen Leben mochte Fassbinder sich selbst als hässlichen Deutschen, als
ein «unrasiertes, ungepflegtes, bierbäuchiges Monster» (Elsaesser) geben. Er
hatte sichtlich Spaß daran, seine Unangepasstheit im Wirtschaftswunderland
auszustellen. Fassbinder braucht kein Denkmal, auch nicht zum sechzigsten
Geburtstag, den er nicht erlebte, weil er mit nur 37 Jahren an einer
Drogenmischung aus Koks, Schlaftabletten und Alkohol starb. Aber seine Filme
sollte man sich wieder und wieder anschauen. Denn in Fassbinders Filmen, so
schreibt sein Freund und Produzent
Peter
Märthesheimer, «ist alles aufgehoben,
was in ihm war und was er zu sagen hatte: seine Angst und sein Mut, seine Freude
und seine Verzweiflung, seine Liebe zu den Dingen und sein Misstrauen zu den
Menschen, seine Zärtlichkeit und seine Aggressivität, seine Eitelkeit und
seine Scham, seine Arroganz und seine Demut, seine Sehnsucht und seine Abwehr,
sein Glück und seine Trauer. Wenn man mit seinen Filmen richtig umgeht, wird er
immer lebendig bleiben.»
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 30. Dezember 2023 |