Die verlorene Ehre der Katharina Blum

1977

   

Filmliste Volker Schlöndorff

Filmliste Margarethe von Trotta

    

 

  

Regie

Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta

Regie-Assistenz

Alexander Ebermayer von Richthofen, Gerhard von Halem

Drehbuch

Volker Schlöndorff, Margarethe von Trotta

Produktion

Coproduktion Paramount-Orion / Bioskop-Film / WDR im Rahmen der Filmförderung

Vorlage u. Drehbuchmitarbeit

Heinrich Böll (nach seiner Erzählung)

Produktionsleitung

Herbert Kerz

Herstellungsleitung

Eberhard Junkersdorf

Redaktion

Gunther Witte

Kamera

Jost Vaccano, Dietrich Lohmann

Ton

Klaus Eckelt

Kostüme

Annette Schaadt, Reinhild Paul (Assistentin)

Schnitt

Peter Przygodda

Musik

Hans Werner Henze

FSK

ab 16 Jahre

Länge

ca. 102 Minuten

FBW (Filmbewertung)

-

Ur-/Erstaufführung

Uraufführung am 17.09.1975 in San Sebastian, Intern. Filmfestival
Kinostart (DE): 09.10.1975, Berlin, Palette
TV-Erstsendung in Deutschland: 28.05.1978, ARD

Sonstiges

Drehzeit: 4. Februar bis 21. März 1975

Link zum Filmportal

Genre

Literaturverfilmung

      

   

 

Darsteller

Rolle

Angela Winkler

Katharina Blum
Mario Adorf Kommissar Beizmenne
Dieter Laser Reporter Tötges
Jürgen Prochnow Ludwig Götten
Heinz Bennent Dr. Blorna
Rolf Becker Staatsanwalt Hach
Harald Kuhlmann Moeding
Regine Lutz Else Woltersheim
Werner Eichhorn Konrad Beiters
Karlheinz Vosgerau Alois Sträubleder
Hannelore Hoger Trude Blorna
Herbert Fux Journalist Weniger
Angelika Hillebrecht Polizistin
Horatius Haeberle  Staatsanwalt
Henry van Lyck Scheich Karl
Leo Weisse Fotograf
Walter Gontermann Pater
Hildegard Linden Hedwig
Stephanie Tönnessen Claudia
Josephine Gievens Herta
Peter Franke Dr. Heinen
Achim Strietzel Verleger
u.a.  

    

     

 

Inhalt  

Auf einem privaten kleinen Hausball ihrer Patentante Else Woltersheim lernt Katharina Blum Ludwig Götten kennen. Katharina, die seit ihrer gescheiterten Ehe zurückhaltend, fast prüde ist, verliebt sich spontan in Ludwig und nimmt ihn mit nach Hause. Am nächsten Morgen - es ist Weiberfastnacht, der Donnerstag vor Karneval, in Köln erster Höhepunkt der "tollen Tage" - stürmt ein Spezialtrupp der Polizei Katharinas Wohnung, um den gesuchten und lange observierten Götten zu verhaften. Da Ludwig Götten durch das Kanalisationssystem des Hauses entkommen konnte, wird Katharina als Helferin verdächtigt und festgenommen. In zahllosen Vernehmungen versucht Kommissar Beizmenne, Katharina zu überführen. Doch vor ihm entsteht das Bild einer eher einsamen jungen Frau, deren Hauptinteresse ist, ihre kleine Eigentumswohnung abzuzahlen. Ihr Geld verdient sie als Hausangestellte bei Rechtsanwalt Blorna und bei gelegentlichen Aushilfsarbeiten am Wochenende. Beizmenne, der Katharina entlässt, nicht ohne seinen Überwachungsapparat auf sie anzusetzen, weist den Skandalreporter Tötges vom Boulevardblatt ZEITUNG auf den Fall hin. Katharina Blum gerät in die Schlagzeilen. Rücksichtslos manipulierte und verfälschende Berichte vermitteln der Öffentlichkeit das Bild einer Schwerverbrecherin. Sie schaffen ein Klima, in dem die unschuldige Katharina immer stärker den psychischen und physischen Aggressionen ihrer aufgehetzten Mitbürger ausgesetzt ist. In ihrer Verzweiflung telefoniert Katharina mit Götten, ohne zu ahnen, dass sie damit Beizmenne das Versteck ihres Geliebten preisgibt.

Götten, der aus der Bundeswehr desertiert ist und bei einem Einbruch in die Zahlmeisterei den Wehrsold zweier Regimenter entwendet hat, wird in einer gewaltigen Polizeiaktion festgenommen. Als Tötgen sich mit einem Trick Zugang zu ihrer schwerkranken Mutter verschafft, die kurz darauf stirbt, kann Katharina das gesamte Ausmaß an Verletzung und Entwürdigung nicht mehr ertragen. Unter dem Vorwand, ihm ein Exklusiv-Interview geben zu wollen, bestellt sie Tötjes am Karnevalssonntag zu sich in ihre Wohnung. Sie erschießt ihn im Glauben, damit ihre verlorene Ehre wiedergewonnen zu haben.

 

 

 

Volker Schlöndorff:

Reaktionen auf den Film im In- und Ausland

 

Wir haben es schnell aufgegeben, die Artikel über den Film fein sauber in ein Presseheft zu kleben. Bis heute reisst die Flut der uns täglich zugeschickten Ausschnitte nicht ab. Sie füllen inzwischen zwei mittelgroße Kartons, Gewicht etwa 10 kg. Eine derartige Auseinandersetzung dürfte kein deutscher Film nach dem Krieg ausgelöst haben.

Dabei ist zunächst einmal überraschend, wie einmütig der Film in der Bundesrepublik aufgenommen wurde. Vor dem Start waren viele Kinobesitzer skeptisch bis ablehnend: Sie befürchteten Krawall. Tatsächlich aber ist es bei keiner der unzähligen Aufführungen zu irgendeinem Zwischenfall gekommen. Ist das ein gutes Zeichen? Der Film wie das Buch war ja als Herausforderung gedacht. Es kam nur Applaus. Immerhin ist es selten, dass im Kino applaudiert wird, noch dazu, wenn eine junge Frau als "Terroristen-Sympathiesantin" abgestempelt, auf einen Journalisten schießt. Spontaner Szenenapplaus an dieser Stelle, der dann immer plötzlich abbrach - wie erschrocken über die geäußerte Zustimmung. Auch am Ende des Films immer Applaus und Erleichterung beim Publikum, die etwa ausdrückte: "Das musste mal gesagt werden! Dieser Film (dieses Buch) war schon lange fällig."

 

Diese Reaktion ist so gar nicht in Einklang zu bringen mit der sonst so oft zitierten "öffentlichen Meinung". Man hatte uns sogar gewarnt: So etwas will unser Publikum nicht sehen! Mir so einer will unser Publikum nichts zu tun haben! In einem Kommentar der Bild-Zeitung wurde vorweg geschossen, weil die Politschnulze abgeblich mit Steuergeldern finanziert würde, was keineswegs zutraf, und auch hier die Frage: Wer will so etwas sehen!?

 

Es waren etwa 1,25 Millionen Zuschauer in der Bundesrepublik allein, die es sehen wollten, zwei- oder dreimal mehr also als für irgendeinen anderen deutschen Film. Und die es sehen wollten, kamen nicht, um sich zu empören, sondern um zuzustimmen. Gut die Hälfte der Zuschauer müssen wohl auch Leser der Bild-Zeitung gewesen sein, d.h., dass sie nicht unbedingt mit allem einverstanden sind, was dort geschrieben steht. "Papier ist geduldig." Das kritische Bewusstsein ist größer als die Politiker und die Journalisten glauben, die immer die "öffentliche Meinung" im Mund führen, ohne sich um das zu kümmern, was die Leute wirklich meinen.

Die Springer-Presse, also über die Hälfte der deutschen Zeitungen, versuchte den Film totzuschweigen. Sie brachten keinerlei Kritiken oder Besprechungen. Immerhin nahmen sie die Anzeigen auf, und die Bild-Zeitung führte den Film wochenlang in der Kino-Bestseller-Liste, anders als die WELT, die bei Erscheinen des Buches ihre Bestseller-Liste solange ausgesetzt hatte, wie Heinrich Bölls Erzählung an erster Stelle stand.

 

Von seiten der Kritik je zwei Vorwürfe, in Deutschland wie im Ausland: Schwarzweiß-Malerei zum einen, Fehlen der Böll'schen Ironie zum anderen. Der erste Vorwurf trifft mich mehr als der zweite; denn natürlich will der Film nicht agitieren, sondern aufklären. Beim Publikum scheint das auch gelungen zu sein; viele Zuschriften schilderten noch krassere Erfahrungen mit der Presse.

Nicht nur Journalisten fühlten sich betroffen, auch Polizisten und Freunde aus den Reihen der SPD, die sich gegen "diese Darstellung unserer politiven Landschaft" verwahrten. Bei anderen ging die Berührungsangst so weit, dass sie dem Film fernblieben. Bürgermeister Oxford entschuldigte sich in Berlin nach dem Kurzfilm wegen der Besprechung auf dem japanischen Konsulat, der damalige regierende Bürgermeister Schütz schickte immerhin seine Mutter und seinen Sohn, die ihm - wie er mir sagte - bestätigten, "der Film sei gar nicht so politisch".

In Bonn beim Innenministerium wurde der Film weder aus künstlerischen Gründen noch sonst als "publikumsrelevant" empfunden (dies sind die beiden Kriterien, nach denen die Bundesfilmpreise vergeben werden): Angela Winkler aber bekam einen wirklich verdienten Darsteller-Preis.

 

Die schönsten und lebendigsten Reaktionen auf den Film bekamen wir nach den Vorführungen vom Publikum, wie z.B. in Kiel, wo ein Sponti aus dem Saal rief: "Wir danken euch dafür, die Welt einmal aus unserer Sicht gezeigt zu haben!" Diese Sicht kann aber nicht nur die einiger Linker sein, sondern aller vernünftigen Menschen. Das beweisen jedenfalls die Reaktionen im Ausland, wo der Film etwa nochmal so viele Zuschauer wie bei uns hatte.

Zum einen hat der Film überall eine Auseinandersetzung mit der deutschen Innenpolitik und dem deutschen Pressewesen ausgelöst, zum anderen hat sich auch hier eine ganze Generation mit Angela Winkler als Katharina Blum identifiziert und Parallelen zu eigenen Problemen gefunden. In San Sebastian etwa fragten Journalisten und Publikum tatsächlich, ob diese subversive Madonna von uns nicht bewusst auf Spanien und speziell das Baskenland gemünzt sei. In Kolumbien wurde der Film aus Angst vor einer ähnlichen Interpretation verboten.

Das meiste Verständnis für den Film brachten unsere Nachbarn in Skandinavien, der Schweiz und in Frankreich auf, wogegen Engländer und Amerikaner mit dem Film wenig anfangen konnten. Ihr Pressewesen ist so anders, soviel anständiger, - auch in USA, wo es seit Citizen Kane/Hearst keine yellow press mehr gibt - dass die Voraussetzungen zum Verständnis der Geschichte fehlen. Zum zweiten wurden wir in USA immer wieder gefragt: "Why didn't she take a lawyer?" - Beide Argumente drückten aber nur aus: It's no issue. Tatsächlich sind diese "deutschen Zustände" für die USA kein Thema und von ihnen aus gesehen etwa so aufregend die für uns die finnische Innenpolitik.

 

Diese Reaktionen und Zuschauerzahlen zeigen übrigens über den konkreten Fall hinaus, wo im Ausland der deutsche Film ein Publikum hat: nämlich nur in West- und Nord-Europa, d.h. in den Ländern, die auch wirtschaftlich und politisch stark von uns beeinflusst sind oder sogar abhängen.

Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass Kultur wie zu Zeiten des römischen Imperialismus nur Zierrat politischer und wirtschaftlicher Macht ist. Dass unsere Filme auch in Entwicklungsländern gern gesehen werden, stimmt. Leider fehlt uns die Vertriebsorganisation, sie dort hinzubringen.

In Italien war der Film übrigens gegen alle Erwartungen trotz guter Kritiken kein Erfolg. Vielleicht gerade deswegen, weil es hier sehr viel politische Filme gibt, die viel stärker zuschlagen: "Die verlorer Ehre..." war den Italienern zu kühl und zurückhaltend.

In Israel wurde der Film auf meinen Wunsch hin nicht nur in der sonst überall vertriebenen englischen Fassung, sondern auch in der deutschen Originalfassung gezeigt, und zwar in den Nachmittagsvorstellungen. Interessanterweise waren gerade diese besser besucht, obwohl der weitaus größte Teil des Publikums nicht deutsch sprach. Sie waren interessiert, diese deutsche Geschichte in deutscher Sprache zu hören. Es soll der erste Film gewesen sein, der seit über 10 Jahren in Originalfassung gespielt wurde.

 

Schwieriger ist die Beurteilung des Films in den osteuropäischen Ländern. Der Entschluss der Sowjetunion z.B., den Film anzukaufen und mit einer riesigen Kopienauflage in allen Republiken in jeweils synchronisierten Fassungen zu zeigen, ist sicher ein politischer Entschluss, wobei der Name Heinrich Böll aber keineswegs unterdrückt wurde, ihm im Gegenteil im Vorspann und auf Plakaten Sondervorstellung eingeräumt wurde. Wurde der Film also nur gezeigt, um dem Publikum ein abschreckendes Bild aus dem Goldenen Westen vorzuhalten? Bei einer Reise nach Moskau und Taschkent konnten wir uns überzeugen, dass auch hier der Zuschauer selbständiger und kritischer reagiert. Zunächst einmal wurde der Film als Beweis genommen, wie kritisch sich bei uns ein Film mit den Zuständen im Lande auseinandersetzen kann, und das mit öffentlicher Förderung, in Zusammenarbeit mit dem Fernsehen, und dass so ein kritischer Beitrag dann auch noch in alle Welt exportiert werden kann. Die Möglichkeit zur Kritik wurde also höher bewertet als das Kritisierte. Zum anderen auch hier die Möglichkeit zur Identifikation mit Katharina Blum, dem einzelnen Menschen, der sich überstarke Medien und Behörden behauptet und Widerstand leistet. Der für uns oft so altmodische Begriff der Würde des Menschen wird gerade in der Kultur der sozialistischen Länder, die sich in diesem Punkt auf die humanistische Tradition berufen, sehr ernst genommen.

"Katharina Blum" gilt hier wie Schillers "Räuber" oder Büchners "Woyzzeck" als das, was Werner Herzog auf unseren Diskussionen "legitime deutsche Kultur" genannt hat.

Wir sollten stolz darauf sein, dass Heinrich Böll uns die Gelegenheit gegeben hat, unsere Gesellschaft kritisch zu zeigen und gleichzeitig einen Menschen wie Katharina Blum, die die Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben nie aufgibt. Dem Bild der Deutschen und Deutschlands im Ausland schadet sie bestimmt nicht.

 

 

Nichts als Absagen

 

Weil "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" sich kritisch mit den Praktiken der Boulevardpresse auseinandersetzt, hielten wir es für richtig und auch für informativ, die Meinung einiger Damen und Herren, die in diesem Bereich Verantwortung tragen, einzuholen und an dieser Stelle abzudrucken. Es ist uns nicht gelungen, diese Absicht zu verwirklichen.

1. Peter Boenisch, langjähriger Chef-Redakteur von "Bild" - lt. Springer-Verlag der einzige, der in dieser Sache hätte schreiben können - sah sich aus Zeitgründen nicht in der Lage, vor seinem Urlaub Stellung zu nehmen. Wir hatten ihm die Kassetten des Films zur Verfügung gestellt und den ursprünglichen Redaktionsschluss der Broschüre um eine Woche verschoben.

2. Alfred Neven-Dumont, Verleger des "Express", war gerade erst von einem längeren Urlaub zurück und lehnte ebenfalls aus Zeitgründen ab.

3. Anneliese Friedmann, Verlegerin der Münchner "Abendzeitung", fühlte sich durch unser Angebot geehrt, wollte sich aber nicht äußern.

Wir bedauern diese Absagen.

 

(Quelle: Broschüre "ARD Fernsehspiel", Okt. - Dez. 1977, Seiten 226 - 237)

  

  

  

 

 

 

 

     

  

   

  

    

Layout: Rosemarie Kuheim

Bearbeitet: 19. Juli 2022

  

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