Die Verrohung des Franz Blum
1974
Inhalt
Franz Blum, Sohn aus gutem Hause und als Versicherungsangestellter mit Abitur karriereverdächtig, bricht plötzlich aus seiner bürgerlichen Existenz aus: Er beteiligt sich an einem Banküberfall, wird verhaftet und wegen schweren Raubes vor Gericht gestellt; Blum wird fünf Jahre hinter Gittern verbringen müssen. In der Haft ist Blum nicht nur dem Schock der Ausnahmesituation, sondern auch einer brutalisierten Umwelt ausgesetzt. Als er für seinen unangepassten Mithäftling Bielich, der vom Schläger Kuul ungerechtfertigt misshandelt wird, Partei ergreift, zieht Blum sich Kuuls Feindschaft zu. Von Kuul gedemütigt und zusammengeschlagen, erfährt Blum ein äußerstes Maß an Erniedrigung. Doch der intelligente Blum durchschau schnell die Mechanismen des Verhaltens der Gefangenen untereinander. Recht hat der Stärkere, Erfolg der Gerissenere. Blum schaltet sich in den Kaffee- und Tabakhandel ein, vor allem lernt er, menschliche Arbeitskraft zu kaufen. Im Moorlager sonnt er sich, während andere für ihn Torf stechen. Als die Gründung eines Gefangenensportvereins bevorsteht, lässt er sich durch raffinierte Intrigen zum Präsidenten wählen. Die Privilegien des Amtes nützt er zum Vorteil seines Geschäftes und zur Unterdrückung lästiger Rivalen. Kuul kann endgültig ausgeschaltet werden, aber auch Bielich, der jetzt Blums Machenschaften attackiert. Die Direktion ist mit Blum zufrieden. Er wird wegen guter Führung vorzeitig entlassen.
Burkhard Driest hat nicht, wie andere ehemalige Strafgefangene, einen autobiographischen Bericht geschrieben. Er hat seine subjektiven Erfahrungen objektiviert und - diese nutzend - eine Geschichte von großer Authentizität erzählt: die Geschichte der Verrohung eines Menschen in der verrohenden Situation. Driests entscheidendes Erlebnis war es festzustellen, wie in der Strafanstalt Herrschaftsstrukturen unserer Gesellschaft besonders deutlich - weil unverdeckt - wiederzufinden sind. Die Verrohung des Franz Blum beschreibt das in anschaulichen und konkreten Vorgängen, die für sich selbst sprechen. Burkhard Driest hat das Drehbuch nach seinem gleichnamigen Roman in Zusammenarbeit mit Reinhard Hauff geschrieben. Im Film, der in der Strafvollzugsanstalt Hamburg-Fuhlsbüttel und im Moorlager Lührsbokel gedreht wurde, spielt er die Rolle des Schlägers Kuul. Driest arbeitet zur Zeit an der Fernsehbearbeitung des Romans "Zündschnüre" von Franz Josef Degenhardt, die Reinhard Hauff im Frühjahr für den WDR inszenieren wird. Die Verrohung des Franz Blum ist nach Die Revolte, Mathias Kneißl, Das Haus am Meer und Desaster der fünfte Fernsehfilm, den Hauff im Auftrag des WDR gedreht hat.
(Quelle: Broschüre Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, 1. Halbjahr 1974, Seiten 100-103)
Pressestimmen:
"Gefängnisfilme
hat es schon viele gegeben. Die meisten waren redlich, wohl auch engagiert
gemacht, aber sie trugen nicht weit, weil sie sich in der naturalistischen
Beschreibung des Gefängnisalltags oder dem Psychogramm von Gefangenen verloren.
Reinhard Hauffs Film Die
Verrohung des Franz Blum
ist da ein entschiedener
Fortschritt. Nichts ist das mehr von schlechter Sozialromantik, nichts von
folgenloser Einführung in die Vereinzelung des Gefangenen, nichts auch von
Elendmalerei, die niemandem nützt, wenn zu der Anschauung nicht auch der
Begriff kommt.
Seit langem hat mich kein deutscher Film so gefesselt. Er hat eine runde, handfeste Geschichte, aber vor allem eine große atmosphärische Faszination", meint Peter Buchka, Süddeutsche Zeitung.
"Ich erinnere mich an keinen zweiten deutschen Film, der exakt das System von Ausbeutung und gnadenloser Herrschaft im Zellen-Staat einer Haftanstalt so präzise und beklemmend vorgeführt hat. Blums Gegenspieler, den Schläger Kuul, markierte Autor und Amateurdarsteller Driest mit erstaunlicher Sicherheit. Genau den Stil authentischer Realität traf die Kamera W. P. Hassensteins. Es zeigt sich einmal mehr, dass auch aus dokumentarischen Stoffen ohne aufgesetzte Gags echte "Thriller" werden - wenn Könner zugreifen" liest man im Hamburger Abendblatt.
Burkhard Driest - Beobachtungen bei den Dreharbeiten:
Ein Teil fand in Lührsbokel statt, dem Moorlager, in dem ich unter anderem eingesperrt war. Aus der Spannung zwischen dieser sehr konkreten Lagerwirklichkeit und der sich darauf beziehenden, in Drehbuch und Film dargestellten "inneren Wirklichkeit" ergaben sich ständige Diskussionen zwischen ehemaligen Strafgefangenen, Schauspielern, dem Regisseur und mir.
Wir mussten den Schauspielern gegenüber immer wieder klarstellen, dass es uns nicht darum ging, äußere Ereignisse (meine im Zuchthaus erlebten) genau nachzuzeichnen, sondern das "äußere" Material der (Knast-)Wirklichkeit so anzuordnen, dass die inneren Beziehungen und die gesellschaftliche Bedingtheit der Verhaltensweisen etc. erfassbar werden. Ein Knacki, der insgesamt fünf Jahre abgerissen hatte, sagte zur mir nach Lesen des Drehbuches "Genauso isses."...
An den Dreharbeiten im Gefängnis von Fuhlsbüttel waren etwa 60 Strafgefangene beteiligt. Dabei spielte sich genau das ab, was der Film unter anderem beschreibt: Statt sich zu solidarisieren und ihre eigene objektive Interessenlage zu erkennen, reagierten die Gefangenen aggressiv und überanpassungswillig. Das wurde dadurch noch ins Komische verzerrt, dass sie die Distanz von ihrer eigenen Wirklichkeit zu der Wirklichkeit des Films verloren. So passierte Folgendes: In einer großen Szene schlägt der brutalisierte Tiger-Kuul den sensiblen herzkranken Bielich zusammen. Bielich ist ein unangepasster Kritiker, der das System durchschaut, unter dem alle leiden. Schon nach der ersten Einstellung erfasste die Strafgefangenen eine starke Animosität gegen den Schauspieler Gallwitz, der den Bielich darstellte. Ich spielte Tiger-Kuul. Die Gefangenen umringten mich und forderten mich auf, dem Typ richtig auf die Fresse zu hauen. Sie nannten ihn "Schlangenschiss", und die Aversion verdichtete sich schließlich so, dass die Szene fast mit einem Nervenzusammenbruch Gallwitz' endete.
Mich berührte das sehr eigenartig, denn plötzlich hatte sich sogar beim Drehen dasselbe Verhältnis hergestellt, das einst zwischen dem wirklichen Bielich und seinen Mitgefangenen bestanden hatte. Auch den Schauspielern fiel es offenbar nicht immer leicht, die filmische Ebene von der wirklichen zu trennen. Bei den Proben zu einer Schlägerei forderte mich einer der Gefangenen höhnisch heraus: "Lass mich mal mitmischen!" Er meinte, in Wirklichkeit sei einer (wie er) nicht so leicht zusammenzuschlagen. Ich trat einen Schritt auf ihn zu und sagte: "Komm!". Er leistete dem nicht Folge, alle grinsten, worauf die drei Leader unter den Gefangenen mir durch einige kleine Freundlichkeiten signalisierten, dass ich auf der oberen Stufe der Hackordnung akzeptiert sei...
Als nach der allerletzten Einstellung die Gefangenen antreten mussten und abgeführt wurden, um in ihre Zellen eingeschlossen zu werden, begriff plötzlich jeder aus dem Filmteam: Die Justizverwaltung erlaubte die Benutzung von Strafgefangenen und Film- und Fernsehzwecke, sie erlaubt einen Film über Strafgefangene; sie erlaubt nicht eine Filmarbeit mit ihnen und für sie. Als die Wagen des Filmteams vom Gefängnishof rollten, standen sie unter ihren vergitterten Fenstern und winkten noch einmal der kollegialen Nettigkeit der Schauspieler hinterher.
(Quelle: Broschüre Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, 1. Halbjahr 1974, Seiten 107-108)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 9. November 2020
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©Fotos B. Driest und J. Prochnow: Virginia Shue, Hamburg - starfotos@virginia-hamburg.de
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