Rio das Mortes
1970
Filmliste Rainer Werner Fassbinder
Inhalt Auch Rio das Mortes spielt in einem kleinbürgerlichen Milieu, aber während in den früheren Filmen die Trostlosigkeit des Milieus betont wurde, ist es hier vom Glanz des Filmtraums erfüllt, der wiederum zu den Stimulanzien eben dieses Milieus gehört.
Hanna (Hanna Schygulla) möchte gern Michael (Michael König) heiraten, aber Michael und sein Freund Günther sehnen sich weit weg und träumen davon, das Jungenabenteuer aller Zeiten zu erleben. Sie haben eine Karte von Peru gefunden, die zeigt, wo ein riesiger Schatz begraben liegt, und nehmen sich vor, ihn zu finden. In dieser Satire über das frustrierende Leben des Kleinbürgertums greift Fassbinder noch einmal auf einen vorpubertären Zustand zurück, in dem der Phantasie noch alle Möglichkeiten offen stehen.
Michael und Günther werden in einer Sequenz vorgestellt, in der sie sich - wie in einem Howard Hawks-Film - eine gewaltige Schlägerei liefern, die sich bald als versteckte Liebeserklärung erweist, als Ausdruck der physischen Anziehung zwischen ihnen. Hanna besucht das Kindergärtnerinnen-Seminar und wird vorgestellt, als sie gerade den Satz paukt, das Ziel aller Erziehung sei Anpassung. Die beiden Freunde haben sich allerdings nie anpassen können, obwohl sie es versuchen. Um ihre Expedition nach Peru zu finanzieren, nehmen sie Kontakt mit verschiedenen Geldleuten auf, scheitern aber jämmerlich, als sie die Sprache des Kapitals sprechen wollen. Ihre Welt ist eine andere. In beiden steht ein Künstler! Zu guter Letzt lernen sie eine ältere Dame kennen, die Verständnis hat für ihr wahnsinniges Vorhaben und ihnen schenkt, was sie brauchen. Sie wird von Hanna Axmann-Rezzori gespielt, die im Jahr zuvor einem anderen Träumer, Rainer Werner Fassbinder, 20 000 DM geschenkt hatte, damit er seinen ersten Film realisieren konnte.
Hanna ist entsetzt, denn die Reise scheint jetzt doch bevorzustehen. Sie sehnt sich nach einer normalen Ehe mit Michael und versucht, die Reise mit dem Mittel zu vereiteln, zu dem die frustrierte Liebe bei Fassbinder so oft greift: einer Pistole. Als die beiden Freunde unterwegs zum Flugzeug sind, legt sie wie in einem Gangsterfilm die Pistole auf sie an, dann fällt ihr (oder Fassbinder) aber offenbar ein, dass es sich hier um eine andere Art Film handelt, sie lässt den Revolver sinken und greift statt dessen nach einem Lippenstift. Der Film endet mit einer leicht morbiden Nahaufnahme, in der Hanna dick Lippenstift aufträgt, um sich für neue Möglichkeiten vorzubereiten.
Rio das Mortes ist kein gelungener Film und wohl der einzige uninteressante von Fassbinders frühen Avantgardefilmen. Seine leicht komödiantische Form lag Fassbinder nicht, aber der Film enthält doch ein Detail, das in eine Sammlung seiner denkwürdigen Szenen gehört: Fassbinder als dummer, fetter Ledertyp tanzt mit Hanna Schygulla, die sich zu Elvis Presleys "Jailhouse Rock" aus der Juke-Box als Provinz-Marilyn Monroe aufspielt. Sie bewegt sich immer überschwänglicher, während er nicht für zehn Pfennig Rhythmus im Leib hat, sondern versucht, ihre anmutigen Bewegungen mit ein paar unbeholfenen, brutalen Gesten nachzuahmen. Die Schöne und das Tier finden reichlich Gefallen aneinander. Als die Platte abgelaufen ist, setzt sich der Ledertyp wieder zu seinem Mädchen an die Bar. "Mit mir tanzt du nie so", sagt sie vorwurfsvoll. "Du kannst auch nicht so tanzen", sagt er und knallt ihr zur Sicherheit noch eine. In einer wunderbaren Verkürzung enthält diese kleine Szene den Hauptgegensatz des Films: Kinotraum kontra kleinbürgerlicher Alltag. Dieser Gegensatz sollte Fassbinders Schaffen weitgehend prägen, und Rio das Mortes greift der Verschmelzung von Kinofilmen und bürgerlichen Filmen vor, mit denen Fassbinder einem größeren Publikum bekannt wurde. In Rio das Mortes hat diese Verschmelzung noch den Charakter einer Demonstration, aber sie deutet den weiteren Weg an.
(Quelle: Christian Braad Thomsen: "Rainer Werner Fassbinder - Leben und Werk eines maßlosen Genies", Rogner & Bernhard bei Zweitausendeins, Hamburg, 1993, Seite 386 (ff), Textübernahme mit freundlicher Erlaubnis des Autors)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 10. Oktober 2020
Die o.g. Angaben zum Film sind nach bestem Wissen gesammelt, aufgeschrieben und bearbeitet worden und enthalten zum Teil Texte aus fremden Webseiten bzw. literarischen Quellen. Weiterhin möchte ich bemerken, dass ich auf Inhalte zu externen Webseiten keinen Einfluss habe und keine Gewähr dafür übernehmen kann. Für die Inhalte der verlinkten Seiten ist stets der jeweilige Anbieter oder Betreiber verantwortlich. Die verlinkten Seiten wurden zum Zeitpunkt der Verlinkung auf mögliche Rechtsverstöße überprüft. Rechtswidrige Inhalte waren zum Zeitpunkt der Verlinkung nicht erkennbar. Eine permanente inhaltliche Kontrolle der verlinkten Seiten ist jedoch ohne konkrete Anhaltspunkte einer Rechtsverletzung nicht zumutbar. Bei Bekanntwerden von Rechtsverletzungen werden derartige Links umgehend entfernt. Sollten mir bei den o.g. Angaben Fehler unterlaufen sein, so werden diese bei entsprechender Nachricht und Kontrolle ebenfalls entfernt bzw. korrigiert. |