(Hans Otto) Wolfgang Neuss

 

Darsteller  Kabarettist  Provokateur

 

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Neuss Deutschland

  

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W. Neuss bei Conträr-Musik

    

 

  

  

Wolfgang Neuss (Copyright: Conträr Musik oder Henriette de Bouyse). Vielen Dank an Rolf Limbach.

Wolfgang Neuss

 

Copyright des Fotos: Vielen Dank an Conträr Musik / Henriette de Bouyse Rolf Limbach 

Geboren am 3.12.1923 in Breslau

Gestorben am 5.5.1989 in Berlin

  

Neuss versuchte sich in einer landwirtschaftlichen Ausbildung und begann eine Fleischerlehre. Mit 15 Jahren brannte er durch, kam aber nicht weit, denn er landete in der "Jungenverwahranstalt" am Berliner Alex. Danach Arbeit in einer Granatenfabrik in Breslau.

 

Franz Josef Degenhardt und Günter Neuss auf einer Veranstaltung im Hamburger Schauspielhaus, 1968

Foto: GERMIN, 1968, Aufn.-Nr.: df_ger-pos_0007233. Eigentümer: SLUB / Deutsche Fotothek. Genehmigung zur Veröffentlichung erhalten am 19.5.2017.

1941 Soldat an der Ostfront. Neuss wurde mehrfach verwundet und erhielt das Eiserne Kreuz. Erste kabarettistische Versuche. Als er wieder an die Front soll, schoss er sich selbst den  Zeigefinder der linken Hand ab, um wieder ins Lazarett zu kommen. Dort spielte er für die Verwundeten, parodierte und war hier der Krankenhausclown. Nach dem Krieg inszenierte er im Internierungslager bunte Abende. Nach der Entlassung zog er mit diesem Programm durch die Lande. Weitere Tingeleien und erste Engagements auf "ordentlichen Bühnen". Er lernte Wolfgang Müller kennen. Zusammen mit ihm erster Auftritt als "die zwei Wolfgangs". Beide wurden 1950 für das Kabarett "Die Bonbonniere" (>>> Hinweis: "Die Pfeffermühle") engagiert. Dort stand er u.a. auch mit Ursula Herking auf der Bühne. Für ein kleines Solostück wurde ein Requisit verlangt - und so kaufte sich Wolfgang Neuss eine große Trommel. 1950 hat er seine erste kleine Filmrolle in Wer fuhr den grauen Ford, Regie Otto Wernicke.

  

'Der Mann mit der Pauke' wurde ein Geheimtipp. Das neue Ensemble der "Bonbonniere" spielte in Berlin und hatte bei Presse und beim Publikum einen Riesenerfolg. In der Berliner Waldbühne spielte Neuss vor 20000 Zuschauern. Der Erfolg war nicht mehr aufzuhalten. 1951 gestaltete er Radiokabarett ("Schreibmaschine und Klavier"), 1952 hieß das Programm "Haferstengel an der Tankstelle" und 1956 "Musik für Emma". 1952 führte er Regie bei den Stachelschweinen. Er schreibt, spielt und inszeniert. Man sah ihn im Fernsehen, er machte Werbung, stand als Kabarettist auf der Bühne, spielte im Hebbel-Theater Lessing und Moliere. 1953 erstes Solo-Programm mit Wolfgang Müller. Inszenierung eigener Stücke am Bayerischen Staatsschauspiel "Tu's nicht ohne Liebe" (1958) und in der Komödie Berlin "Zwei Berliner in Paris" (1959). 

 

   

Wolfgang Neuss (li.) und Wolfgang Müller in "Als geheilt entlassen". Kurz nach Ende der Dreharbeiten zu dieser "Rififi"-Parodie verunglückte Wolfgang Müller bei einem Flugzeugabsturz.
Foto: PIDAX-Film
1955 wurden Müller und Neuss für Nebenrollen in dem Streifen Kiss me Kate engagiert. Wer kennt nicht den Schlager "Schlag' nach bei Shakespeare", der Song wird zum Publikumshit. Weitere Erfolge feierte das Paar Neuss / Müller mit der Mitternachts-Show "Schieß mich, Tell". Ab Mitte der 1950er-Jahre war das Komikerpärchen so bekannt, das es Filmangebote hagelt.

 

Zwischen 1955 und 1960 waren es an die 40 Filme (insgesamt über 70!). Um nur einige bekannte zu nennen: Des Teufels General,  1954/55, Regie: Helmut Käutner (Rolle: Fotograf), Auf der Reeperbahn nachts um halb eins, 1954, Regie: Wolfgang Liebeneiner (Rolle: Nigratz), Himmel ohne Sterne, 1955, Regie: Helmut Käutner (Rolle: Vopo Edgar Bröse), Charley's Tante, 1955, Regie: Hans Quest (Rolle: Empfangschef), Ohne dich wird es Nacht, 1956, Regie: Curd Jürgens (Rolle: Apotheker), Ein Mann muss nicht immer schön sein, 1956, Regie: Hans Quest (Rolle: Knackerkarl), Der Hauptmann von Köpenick, 1956, Regie: Helmut Käutner (Rolle: Zuchthäusler Kallenberg), Das Wirtshaus im Spessart, 1957, Regie: Kurt Hoffmann (Rolle Neuss: Räuber Knoll, Rolle Müller: Räuber Funzel), Wir Wunderkinder, 1958, Regie: Kurt Hoffmann (Rolle Neuss: Erklärer des Films, Rolle Müller: Mann am Klavier). 

 

Das Cover wurde mir ebenfalls von Rolf Limbach zur Verfügung gestellt.

"Neuss, vom Südwestfunk mit der Pauken-Nummer für eine Livesendung engagiert, wurde zum ersten Zensur-Fall des deutschen Fernsehens, als er sich weigert, Abstriche von seinem Pointen-Feuerwerk zu machen. Die Presse steigt groß ein ('Maulkorb statt Pauke'). In Berlin soll Neuss im Rahmen eines Berliner Abends vor Bundestagsprominenz auftreten, das Fernsehen ist dabei. Während Neuss' Paukennummer schaltet sich SFB-Intendant Braun ab und täuscht eine "technische Störung" vor. Die Presse spricht von "Skandal", der Intendantenstuhl wackelt."

Copyright des Plattencovers:
Vielen Dank an Conträr Musik /
Henriette de Bouyse Rolf Limbach

 

 


Das zweite Neuss-Stück wurde am Ku'damm aufgeführt, 'Zwei Berliner in Paris'. Immer wieder Dreharbeiten mit Wolfgang Müller. Neuss plant einen eigenen Film zum Thema deutsche Vergangenheitsbewältigung: Wir Kellerkinder. 1960 wurde der letzte Neuss/Müller-Film gedreht (Als geheilt entlassen). Wolfgang Müller kam leider bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Regisseur Hoffmann soll zum Neuss gesagt haben "Jetzt brauche ich Sie nicht mehr". Wolfgang Neuss realisierte seinen Film Wir Kellerkinder, die Geschichte des HJ-Pimpfs Macke Prinz. 

 

 

1962 ließ Neuss eine Anzeige drucken, indem er die Nation auffordert, lieber ins Kino zu gehen (sein Film Genosse Münchhausen*) war gerade angelaufen), anstatt sich den Durbridge-Krimi im Fernsehen zu sehen - und verrät den Mörder. Dieter Borsche als Mörder löste einen Riesenskandal aus, der bis zu Morddrohungen führte.

 

1963 Dreharbeiten zu Die Tote von Beverly Hills in der Regie von Michael Pfleghar. Neuss arbeitete 1963 an einer bitterbösen Ein-Mann-Show, die mit dem Titel "Das jüngste Gerücht" Premiere hat. Das Programm läuft fast zwei Jahre und erhebt Neuss zu "Deutschlands Kabarettisten Nr. 1" (lt. Spiegel). Er erhielt 1964 den Berliner Kunstpreis und den Preis der Schallplattenkritik für "Das jüngste Gerücht". 

(*) Inhalt Genosse Münchhausen: "Der Durchschnittsbürger und Kleinbauer Puste wird von einem fantasierenden Luftstrategen überredet, mit einem im Westen notgelandeten russischen Düsenjäger Luftaufklärung über der Sowjetunion zu betreiben. Nachdem er mit dem Fallschirm abspringen musste, verhelfen ihm seine russischen Sprachkenntnisse und falschen Papiere zu einem buntbewegten Scheindasein als Sowjetbürger, bis er mit seiner Rakete zur Venus geschickt wird, aber über der Insel Sylt abstürzt.) (aus: Broschüre "Die deutschen Filme", Export-Union der deutschen Filmindustrie, Wiesbaden)

 

Im Dezember 1964 erschien die erste Ausgabe der Zeitschrift "Neuss Deutschland", Organ des Zentralkomikerteams der Satirischen Einheitspartei Deutschlands - eine Parodie des SED-Zentralorgans. Mitte der 1960er-Jahre Freundschaft mit Wolf Biermann. Einreiseverbot für Neuss, weil er mit Biermann zusammen an einer Abrüstungsveranstaltung bei einem Ostermarsch auftritt.

  

 

Der Mann mit der Pauke: Wolfgang Neuss (Copyright: Conträr Musik oder Henriette de Bouyse). Vielen Dank an Rolf Limbach.

Westberliner Zeitungen sammelten Geld für den amerikanischen Vietnamkrieg; an die Witwen gefallener GIs sollen Porzellannachbildungen der Berliner Freiheitsglocke verschenkt werden. Neuss protestierte dagegen mit einem Extrablatt des 'Neuss Deutschland', die Verleger kontern mit Anzeigenboykott gegen Neuss und sein 'Neuss Testament'. Neuss rief zu Spendenaktionen auf ("Zeigt's dem Springer, helft dem Neuss!"), die Presse schießt sich ein, in den Zeitungen erschienen Verfassungsschutzfotos, die Neuss auf einer (genehmigten) Vietnam-Demo zeigen. Im Februar SPD-Ausschluss. Das Fernsehen setzte eine Kabarettsendung, an der Neuss mitwirkt, aus politischen Gründen ab. Er verließ Berlin, die Presse spricht von Exil. Nach Rückkehr BRD-Tournee mit 'Neuss Testament'. Neuss' Tablettenkonsum (Preludin, Schlaftabletten) steigt, erste Begegnung mit Haschisch. 

 

Hinweise zum Bild mit der Pauke:

Vielen Dank an Conträr Musik / Henriette de Bouyse Rolf Limbach



Drittes Soloprogramm 1967 'Asyl im Domizil'.

Verleihung des Berliner Kunstpreises für Musik am 18.3.1964 mit W. Neuss als dritter von links
Quelle: Das Bundesarchiv, Inventar-Nr. B 145 Bild-P086980

Offizieller Schahbesuch in Deutschland. In West-Berlin wurde am 2. Juni 1967 der Student Benno Ohnesorg von der Polizei erschossen. Wolfgang Neuss bekannte sich zur APO. Zusammenarbeit mit dem SDS. In Berlin wurde am 11. April 1968 auf Rudi Dutschke ein Attentat verübt. Dutschke-Freund Neuss schreibt einen Beitrag darüber. Der Hessische Rundfunk lehnte es ab, die Sendung auszustrahlen.

 

 

Theaterarbeit unter Peter Stein an Peter Weiß 'Viet Nam Diskurs' in München. Als die Intendanz die von Stein und Neuss geforderte Sammlung für den Vietcong ablehnt, kündigte er seine Mitarbeit. Das Stück wurde abgesetzt. In Zadeks Fernsehinszenierung Rotmord (nach Tankred Dorsts 'Toller') spielte Neuss 1969 den Dichter Erich Mühsam.

 

Dann eine Südamerikareise nach Chile; Anfang Mai Rückkehr nach Deutschland. Bei der Wiedereinreise wird Neuss am Flugplatz Santiago verhaftet und als 'Volksaufwiegler' abgeschoben.

 

1970-1978 hört man nichts mehr von Wolfgang Neuss. Er zieht sich von der Bühne zurück. 
1979 wird er wegen Haschisch- und LSD-Besitzes zu acht Monaten Gefängnis verurteilt.

 
Wolfgang Neuss
Fotografiert 1985 von Werner Bethsold


Neuss ist wieder da. Von 1980 - 1983 erscheinen Musik-Kassetten. ('Ich hab noch einen Kiffer in Berlin'/"Üben, üben, üben"), 'Die Grüne Kraft' bringt einen Band mit Interviews heraus (Neuss Zeitalter), im 'Syndikat Verlag' erscheint 'Wir Kellerkinder'. Im Schauspielhaus Hamburg erlebt Reiner Mennickens Versuch, Neuss als Bühnenfigur zu entdecken ('Starker Hans') den "totalen Untergang" (FAZ) (Friedrich Luft: "Aasgeier über Neuss"). Für die Kinosatire Is' was, Kanzler? tritt Neuss als Annemarie Renger auf.

 

Sein Talk mit Richard von Weizsäcker, den Neuss salopp "Richi" nennt, in 'Leute' wird als "Fernsehshow des Jahres" (Stern) gefeiert. Volker Kühn produziert für den WDR das erste Neuss-Solo nach 10 Jahren. Deutscher Kleinkunstpreis. Der Stern bringt von 1984-1987 wöchentlich  Neuss-Sprüche. Eine weitere Schallplatte erscheint. Im November wird Neuss wegen Haschisch-Besitzes zu 18 Monaten verurteilt. Die Strafe wird zur Bewährung ausgesetzt. 

  

Anlässlich seines 65. Geburtstages ist Neuss zum letzten Mal auf der Bühne.

  
Anfang Mai 1989 wird eine TV-Dokumentation mit ihm gedreht. Wolfgang Neuss stirbt wenige Tage später, am 5. Mai 1989 in seiner Charlottenburger Wohnung. Er wird am 19. Mai auf dem Berliner Waldfriedhof Berlin-Zehlendorf an der Seite seines Kabarett-Partners Wolfgang Müller beigesetzt.

 

 

 

(Quelle: Vielen Dank für einige Fotos und dass ich Zitate und Textteile aus der Neuss-Biografie bei www.contraermusik.de nutzen durfte)

 

 

 

 

  

  

 

 

 

So etwas kann nur von Wolfgang Neuss stammen:

   

INNERE FÜHRUNGSKETTENREAKTION

(W. Neuss, 1963)

 

 

Der Oberst sagt zum Adjudanten:
Morgen früh um neun ist eine Sonnenfinsternis. Etwas, was nicht alle Tage passiert. Die Männer sollen im Drillich auf dem Kasernenhof stehen und sich das seltene Schauspiel ansehen. Ich werde es ihnen erklären. Wenn es regnet, werden wir nichts sehen. Dann sollen sie in die Sporthalle gehen.

  

Der Adjudant sagt zum Hauptmann:
Befehl vom Oberst: Morgen früh um neun ist eine Sonnenfinsternis. Wenn es regnet, kann man sie vom Kasernenhof aus nicht sehen, dann findet sie im Drillich in der Sporthalle statt. Etwas, was nicht alle Tage passiert. Der Oberst wird's erklären, warum das Schauspiel selten ist.

  

Der Hauptmann zum Leutnant:
Schauspiel vom Oberst: Morgen früh neun Uhr Einweihung der Sonnenfinsternis in der Sporthalle! Der Oberst wird's erklären, warum es regnet. Sehr, sehr selten so was.

  

Der Leutnant zum Feldwebel:
Morgen neun Uhr wird der Oberst im Drillich die Sonne verfinstern, wie es alle Tage passiert in der Sporthalle, wenn ein schöner Tag ist. Wenn 's regnet: Kasernenhof!

  

Der Feldwebel zum Unteroffizier:
Morgen um neune Verfinsterung des Obersten im Drillich wegen der Sonne. Wenn es in der Sporthalle regnet, was nicht alle Tage passiert, antreten auf dem Kasernenhof. Äh ... sollten Schauspieler dabei sein, solln sich selten machen.

  

Gespräch unter Soldaten:
Haste schon gehört, wenn's morgen regnet? Tja, ich weiß - der Oberst will unseren Drillich verfinstern. Das dollste Ding: Wenn die Sonne keinen Hof hat, will er ihr einen machen. Schauspieler sollen Selter bekommen, typisch. Dann will er erklären, warum er aus rein sportlichen Gründen die Kaserne nicht mehr sehen kann.

  

Schade, dass das nicht alle Tage passiert.

Wen wundert es da noch, dass auf den Truppenübungsplätzen die Manöver-Beobachter nie voll getroffen werden!

  

  

 

 

 

 

 

  

  

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Layout: Rosemarie Kuheim
Bearbeitet: 6. Juli 2023

 
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