Die Tannerhütte (Geschichte einer Utopie)
1976
Inhalt
1910 im Ruhrgebiet, einige Jahre vor dem ersten Weltkrieg. Dr. Michael Quast, Ökonom und Gewerkschaftsfunktionär aus Berlin, trifft Baron von Tanner, den Besitzer eines Stahlwerkes. Der Baron muss sein Werk expandieren, um im wirtschaftlichen Aufschwung der Zeit konkurrenzfähig zu bleiben. Er muss fremdes Kapital aufnehmen. Die allgemein praktizierte Möglichkeit, eine Aktiengesellschaft zu gründen, lehnt er ab, weil er nicht will, dass sich anonyme reiche Börsianer in die Politik des Betriebes mit einmischen. Die Menschen, die das Werk geschaffen haben, seine Arbeiter, sollen mitbestimmen. Das zur Gründung einer Genossenschaft notwendige Kapital erhält er von der Gewerkschaft. Das Modell der Genossenschaft entwirft Dr. Quast, der hier seine Theorie vom friedlichen Übergang des Kapitalismus in den Sozialismus praktisch aufprobieren kann. In Elisabeth, der einzigen Tochter des Barons, findet Quast eine Frau, die politisch aktiv ist, mit der er auf langen Ausritten über seine Idee sprechen kann. Becker, der Generaldirektor, sieht in der Genossenschaftsgründung den Ruin der Tannerwerke. Vor Elisabeth macht er sich über den "Arbeiterführer" Quast lustig. Der sozialdemokratische Arbeiter Kramer vertraut auf die mögliche Zusammenarbeit in der Genossenschaft. Sein Sohn allerdings kann sich mit seiner radikalen Kritik an dieser Verwässerung des Klassenkampfes nicht durchsetzen. Das Syndikat der Eisen- und Stahlproduzenten sieht in der Sozialisierung eine Gefahr für das freie Unternehmertum und schließt die Genossenschaft aus dem Kartell aus. Nur Ryncken, der mächtigste Mann im Syndikat, bietet privat weiterhin gute Geschäftsbeziehungen an. Zu ihm geht Quast, als er in Schwierigkeiten ist: Becker hat einen Rüstungsauftrag angenommen, aber die Arbeiter lehnen es ab, Granaten zu produzieren. Ryncken hilft mit einem Tausch der Aufträge. Dadurch verwickelt er die Tannerhütte in ein von ihm gesteuertes Komplott, das die Genossenschaft später in Lieferschwierigkeiten für den übernommenen Staatsauftrag bringt. Quast gewinnt Elisabeths Liebe und heiratet sie. Sie, die durch seinen Idealismus überzeugt wurde, wirft ihm bald vor, dass er sich zu weit in Kompromisse begeben hat. Elisabeth ist schwanger. Das Ehepaar Quast gibt im neuen Heim einen festlichen Abend, auf dem Quast zum letztenmal versucht, den drohenden Zusammenbruch der Genossenschaft zu verhindern. Er bittet Staatssekretär von Wrengel, dem Werk noch eine Chance zu geben. Er weiß nicht, dass Wrengel von Anfang an am Komplott beteiligt war, weil die politischen Aktionen der Tannerarbeiter der Regierung gefährlich wurden. Die Reprivatisierung, die Umwandlung der Genossenschaft in eine Aktiengesellschaft steht bevor. Die Arbeiter wehren sich verzweifelt. Sie bleiben allein, können keine Solidarität bei den Arbeitern der anderen Werke finden. Sie verlieren die entscheidende Schlacht. Durch die gestürmten Barrikaden fährt Ryncken als neuer Mitaktionär triumphierend ins Werk ein. Quast zieht sich mit seiner Frau und dem Kind zurück und schreibt an der Geschichte der Arbeiterbewegung.
(Quelle: Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, Ausgabe Juli bis Dezember 1976. Herausgeber: WDR-Pressestelle)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 30. November 2020
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