Gesche Gottfried

1978

   

Filmliste Karl Fruchtmann

    

 

  

Regie

Karl Fruchtmann

Drehbuch

Karl Fruchtmann

Produktion

Radio Bremen

Produktionsleitung

Hans-Calixt Krug

Redaktion

Jürgen Breest

Architekt/Bauten

Herbert Kirchhoff

Kamera

Günther Wedekind

Kostüme

Else Heckmann

Schnitt

Ingeburg Forth

Musik

Graziano Mandozzi

FSK

-

Länge

93 Minuten

FBW

-

Ur-/Erstaufführung

10. Dez. 1978

Sonstiges

- Drehorte: Verden, Fischerhude, Bremen und Umgebung

- Über Geesche Gottfried 

- Artikel in der Süddeutschen Zeitung vom 10. März 2017 mit dem Titel "Die Unbegreifliche"

Genre

Fernsehfilm, Zeitgeschichte

      

    

 

Darsteller

Rolle

Sabine Sinjen

Gesche Gottfried
Tilo Prückner Miltenberg
Wolf Roth Gottfried
Rolf Becker Defensor
Willy Leyrer Vater Timm
Ursula Hinrichs Mutter Timm
Veronika Nowag Beta
Siemen Rühaak Bruder Johann
Wolfgang Büttner Magister
Rüdiger Vogler Prediger
Michael Gahr Arzt
Wolfgang Schenck Rumpf

    

     

 

Inhalt  

Am 21. April 1831 wird in Bremen eine Frau - Gesche Gottfried geborene Timm - öffentlich hingerichtet.

Gesche, geboren am 6. März 1785 - mit ihrem Zwillingsbruder Johann -, ist die Tochter eines arbeits- und tugendsamen Paares, ihr Vater Schneidermeister, ihre Mutter Wollnäherin. Sie wächst hübsch, klug in der Schule, arbeitsam und sehr folgsam und bei allen beliebt, heran.

Ein Nachbar, verwitwet, versoffen, krank, aber reich für die Timms, hält um ihre Hand an. Die Eltern - und Geesche - willigen ein.

Gesche hat mehrere Kinder mit Miltenberg. Eins kommt infolge der Syphilis des Vaters tot auf die Welt.

Gesche begegnet einem Freund ihres Mannes, dem charmanten, "vornehmen" Weinreisenden Gottfried, und verliebt sich in ihn.

Sie vergiftet mit Ratzekraut und Mäusebutter ihren Mann, dann in schneller Folge ihre Mutter, ihre drei Kinder und ihren Vater. Dann ihren Zwillingsbruder, der aus dem Napoleanischen Krieg nach Hause kommt, und schließlich ihren Geliebten, der sie auf dem Totenbett heiratet. Während der nächsten zehn Jahre bringt sie noch sieben weitere mit Mäusebutter zu Tode und vergiftet noch mindestens fünfzehn, die aber überleben.

Währenddessen lebt sie als wohltätige, fromme Dame des Bremer Bürgertums, geschätzt und geachtet, und manchmal der Engel von Bremen, oder die christlich-starke Dulderin genannt weiter, bis sie schließlich verhaftet wird.

Das Bremer Gericht verurteilt sie zum Tode durch das Schwert.

Das Urteil wird am 21. April 1831 auf einem schwarz ausgeschlagenen Schaffott vor 35000 Zuschauern vollstreckt.

Ihr Kopf fällt da, wo heute der Spuckstein zu sehen ist.

 

(Quelle: Broschüre ARD Fernsehspiel, Okt. - Dez. 1978, herausg. von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland)

  

 

 

 

Ein Gespräch mit der Hauptdarstellerin Sabine Sinjen

  

Frage: Sie haben in den vergangenen Jahren im Fernsehen Frauenfiguren verkörpert, die sich so gar nicht mit Gesche Gottfried vergleichen lassen. Kam das Angebot für Sie sehr überraschend?

 

S. S.: Meine erste Empfindung: diese Frau geht mich sehr an. Die Ängste, unter denen Gesche litt, meinte ich in einem gewissen Maß selbst zu kennen. Meine unreflektierte Reaktion - eine Schauspielerreaktion - beim Lesen des Exposés von Karl Fruchtmann: Freude an der Fantasie - mit den Möglichkeiten des Grauens, wie hier im Fall der Gesche bis zum Extrem durchlebt. Und natürlich auch die Lust an der Wahrheitsfindung.

 

Frage: Was hat Sie, neben Ihrer Tätigkeit als Schauspielerin an Hamburger Thalia-Theater bewogen, die Rolle anzunehmen?

 

S.S.: Der Reiz, das Schicksal der Gesche zu verkörpern. Anhand dieses Extremfalls noch mehr die Bereitschaft in uns allen zu entwickeln, uns gemeinsam aus unseren Zwängen befreien zu wollen. Andererseits die Quellen und Ursachen zu finden, aus denen diese Zwänge entstehen. Es werden ja bereits im Babyalter die Weichen gestellt.

Wenn man durch andere in eine Position gedrängt wird, die allgemein als "Glück" und die "Ordnung" angesehen wird und man nicht nach den wahren Bedürfnissen des Menschen fragt, wird man losgelöst von der Realität. Wenn andere zum "Wohle" mit einem Menschen umgehen als sei er bestimm- und verfügbar, dann muss dieser Mensch eine äußere Anpassung spielen, um anerkannt zu werden - so wie Gesche.

 

Frage: Gesche Gottfried lebte zur Zeit des Biedermeier. Hat diese Figur auch heute für uns noch eine aktuelle Bedeutung? Geht sie uns an?

 

S.S.: Wichtig ist für mich die Elementarsituation: wie wird und wurde mit der Frau umgegangen. Es ist oft unvorstellbar, dass viele Frauen das alles so akzeptiert haben und sich nicht gegen ihre Unterdrückung, gegen das Fremdbestimmtwerden gewehrt haben. Gesche könnte, wenn sie heute lebte, trotz des Drucks, dem sie ausgesetzt ist, sich auf andere Weise verwirklichen und für sich eine Veränderung schaffen. Die Situation der Frau ist im Grunde aber ein Teufelskreis geblieben: es gehört zwar heute dazu, dass man im gehobenen Bürgertum über die Befreiung der Frau diskutiert und die Männer diese Diskussion auch bereitwillig akzeptieren. Die Einengung ist aber geblieben, weil die Männer nicht bereit sind anzuerkennen, dass das Problem beide Partner angeht.

 

Frage: Wie wird man als Schauspielerin damit fertig, eine Mörderin darzustellen? Ist es überhaupt möglich, diese Taten nachzuvollziehen?

 

S.S.: Nicht dass ich auch hingehe und morde wie Gesche, aber ich kann in einem bestimmten Maße ihre Aggressionen nachvollziehen. Durch welche Schreckenszustände man da selbst geht, ist für einen anderen kaum vorstellbar. Wenn Gesche sagt: "Wie bin ich abgestumpft" - dann waren diese Spannungen für mich fast unerträglich. Aber Gesche erträgt das ja 15 Jahre, dann kommen ihre Visionen, ihre Schreckensbilder. Sie lebt im Grunde nicht friedlich dahin, obwohl es für die anderen so scheint. Oft habe ich mich gefragt: Was geschieht einem Menschen, der so dünn wird wie die Gesche? Ich musste selbst für mich durchleben, nachzuvollziehen, wie es ist, als Frau älter zu werden, alle weiblichen Attribute zu verlieren.

 

Frage: Gesche Gottfried ist damals vor vielen tausend Menschen in Bremen öffentlich hingerichtet worden und den zeitgenössischen Berichten zufolge haben viele ihren Tod als "verdient" angesehen.

 

S.S.: Es wird mir auch jetzt noch schlecht! Ich werde aggressiv, wenn ich diese Haltung höre: es war verdient und gerechtfertigt.

Auch als ich damals  im Radio von den Selbstmorden in Stammheim hörte und die Reaktionen wie "Recht geschieht es" las, war ich so betroffen und ungeheuer traurig. Erschüttert und erschrocken darüber, dass Beifallklatschen in dieser Situation überhaupt denkbar ist.

 

Frage: Wenn die Zuschauer sich an der bloßen Biografie der Gesche orientieren, besteht dann nicht die Gefahr, dass sie eine falsche Erwartungshaltung dem Film gegenüber einnehmen, dass sie beispielsweise einen historischen Krimi erwarten?

 

S.S.: Es ist keine Unterhaltung. Es ist kein oberflächlicher Krimi, sondern eine Auseinandersetzung mit den Hintergründen. Man kann nicht einfach ein Urteile abgeben und damit ist der Fall erledigt. Die Geschichte geht einen an, man kann ihre Geschichte nicht mit leichten Erklärungen wegdrängen. Nach dem Film muss der Zuschauer in seinen Wertvorstellungen und Verhalten verunsichert sein. Ich verstehe es manchmal nicht, warum viele Leute nicht bereit dazu sind, gemeinsam nach Erklärungen zu suchen, sondern auf ihren Urteilen beharren. Dieses Suchen kann ja auch Freude bringen.

Andererseits darf man die Gesche auch nicht als "Daueropfer" interpretieren. Man darf nicht aus Mitleid mit ihr die Fakten übersehen, man darf nicht vergessen nachzudenken. Sie ist eben nicht nur die "arme" Gesche. Andererseits ist aber auch das leichtfertige Verurteilen ausgeschlossen. Verurteilung lässt so wenig Möglichkeiten zum Nachdenken, bedeutet so wenig Fortschritt. Es hat so etwas Abschließendes und Endgültiges. Es ist für mich wichtig, den Zuschauern heute über die Gesche, ihr Tun und ihre Zeit soviel Klärung wie möglich zu vermitteln.

 

Frage: Wie gestaltet sich ihre Zusammenarbeit mit Karl Fruchtmann?

 

S.S.: Wir haben uns erst im Dezember letzten Jahres kennengelernt und vorher noch nicht miteinander gearbeitet. Schon in den ersten Tagen der Zusammenarbeit an der Gesche zeigte es sich, dass wir uns von morgens bis abends etwas zu sagen hatten, dass unsere Diskussion über den Stoff nie abriss.

Wir haben sehr genau und differenziert probiert, trotzdem hat er mir noch unheimlich viel Luft gelassen für meine Fantasie, für die Möglichkeit, noch im Moment des Spielens Gesches Verhalten nachzuvollziehen. Es ist schön, bei einer solchen Arbeit zu wissen, dass einem vertraut wird und dann man Freiheit hat. Dass man nicht abgerichtet wird, sondern sich selbst einbringen kann. Dieser Freiraum ist für Schauspieler wichtig.

Ich war in den zwei Monaten der Produktion in einer Dauerkonzentration. Abgesehen von den wenigen Stunden Schlaf nach den Vorstellungen in Hamburg habe ich immer wieder Vogets Bericht über die Gesche Gottfried gelesen und nach Erklärungen gesucht.

Die Arbeit an diesem Film war oft wie ein Puzzle, wo immer noch ein Steinchen fehlte, um zum noch größeren Verständnis zu kommen.

 

 

 

  

 

 

 

 

     

  

   

  

    

Layout: Rosemarie Kuheim

Bearbeitet: 03.07.2022

  

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