Jeder für sich und Gott gegen alle
1974
Inhalt
1829 taucht in Nürnberg ein geheimnisvoller junger Mann auf. Er kann kaum gehen und sprechen. Sein Leben lang war er in einem Kellerloch eingesperrt, ohne jeden menschlichen Kontakt. Sofort erweckt er die Neugier der Biedermeier-Gesellschaft. Bei seinem Lehrer lernt er lesen, schreiben und die gesellschaftlichen Umgangsformen. Doch seine naive, unverbildete Logik stößt auf Unverständnis: Sie provoziert, entlarvt und verspottet die Gesellschaft. Das Ende seiner Gefangenschaft bringt Kaspar Hauser keine Befreiung ... Anhand authentischer Dokumente aus dem 19. Jahrhundert erzählt Werner Herzog die Geschichte des Kaspar Hauser und setzt mit diesem international ausgezeichneten Film Maßstäbe. Ungeklärt wie seine Herkunft ist noch bis heute Kaspar Hausers Ende.
(Quelle: Beschreibung "arthaus")
Wikipedia schreibt u.a. zum Film: "Der Film erzählt die Geschichte von Kaspar Hauser, der seine ersten 18 Jahre in einem engen Kellerverlies verbringt, isoliert von jeglichem menschlichen Kontakt außer einem Fremden, der ihm sein Essen bringt. Eines Tages im Jahr 1828 führt ihn dieser Fremde aus seiner Zelle heraus, lehrt ihn laufen und ein paar Sätze, und lässt ihn dann in Nürnberg allein. Er wird Gegenstand der Neugierde der breiten Öffentlichkeit und in einem Zirkus ausgestellt, bevor ihn der Lehrer Georg Friedrich Daumer rettet. Mit dessen Hilfe lernt Kaspar schnell Lesen und Schreiben und entwickelt unorthodoxe Annäherungen an Religion und Logik, doch Musik erfreut ihn am meisten. Er zieht die Aufmerksamkeit des Klerus, der Akademiker und des Adels auf sich, wird aber von unbekannten Personen angegriffen, die ihn mit blutigem Kopf zurücklassen. Er erholt sich, wird jedoch erneut auf mysteriöse Weise mit einem Stich in die Brust attackiert – möglicherweise vom selben Mann, der ihn nach Nürnberg gebracht hat. Aufgrund der schweren Verletzung verfällt er ins Delirium, worin er Visionen vom Nomadenvolk der Berber in der Wüste Sahara beschreibt, und stirbt kurz danach."
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Hinter dem zitathaften Titel verbirgt sich die altbekannte Geschichte des rätselhaften Fremdlings Kaspar Hauser. Allerdings geht es dem Filmemacher Herzog nicht um eine filmische Aufbereitung von Historie. Die äußeren Daten und Fakten des Falles werden nur soweit mitgeteilt, dass eine Orientierung in der Historie gerade möglich wird. Herzog interessiert sich auch in keiner Weise für den kriminologischen oder zeitkritischen Aspekt des mysteriösen Falles. Ihn interessiert an Kaspar der Mensch, der sein Lebtag in einem Kellerloch eingesperrt war, der zu dem Zeitpunkt, da er mitten in einer fränkischen Stadt ausgesetzt wird, nicht weiß, was ein Haus, ein Baum, was Sprache ist, der keine Vorstellung von menschlicher Kultur, keinen Begriff von der Welt hat. Ihn interessiert, wie ein Mensch die Welt erfährt, jemand, der bis ins Erwachsenenalter hinein in absoluter Isolation gehalten wurde und bar jeder Erfahrung und jeden Wissens ist. Der Film zeigt, wie Kaspar sprechen lernt, begrifflich zu denken, zu sehen, zu fühlen, sich mitzuteilen. Heimisch zu werden, lernt Kaspar jedoch nicht. Er stirbt als Fremdling in einer Welt, in der nach seiner Erfahrung jeder für sich und Gott gegen alle ist. Die selbstgerechte Biedermeiergesellschaft freilich zeigt sich von keinem Gedanken des Selbstzweifels angekränkelt. Als Kaspar tot ist, wird sein Gehirn seziert in der Hoffnung, eine anatomische Anomalie vorzufinden, die sein von der Norm abweichendes Verhalten erklären könnte. Da man findet, was man sucht, kann er Fall Kaspar, ordnungsgemäß protokolliert, mit bestem Gewissen zu den Akten gelegt werden.
Nach einjähriger Vorbereitungszeit wurde "Jeder für sich und Gott gegen alle" in sieben Wochen (Juni bis August 1974) in Dinkelsbühl und Umgebung gedreht. Neben eigenen Mitteln des Produzenten wurde der Film finanziert mit einer Drehbuchprämie des Bundes und einer Koproduktionsbeteiligung des ZDF innerhalb des Rahmenabkommens. Der Film wurde bei den Filmfestspielen in Cannes mit drei Preisen ausgezeichnet: dem großen Sonderpreis der Jury, dem Preis der Internationalen Filmkritikervereinigung FIPRESCI und dem Preis der Ökomenischen Jury. Für die Gestaltung des besten programmfüllenden Spielfilms erhielten Herzog im Rahmen des Deutschen Filmpreises 1975 ein Filmband in Silber, verbunden mit einer Prämie von 150000 DM, und Henning von Gierke für die Ausstattung ein Filmband in Gold.
(Quelle: Broschüre Das Fernsehspiel im ZDF, März bis April 1977, herausg. vom Zweiten Deutschen Fernsehen, Informations- und Presseabteilung / Öffentlichkeitsarbeit, Mainz)
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Werner Herzog über Kaspar Hauser Bei Kaspar Hauser handelt es sich um den einzig bekannten Fall in der Menschheitsgeschichte, wo ein Mensch erst als Erwachsener geboren wird. Kaspar war ja, soweit er sich zurückerinnern konnte, sein Leben lang in einem dunklen Kellerloch gefangen gehalten und bekam nie einen lebendigen Menschen zu Gesicht, weil man ihm nachts, während er schlief, Essen hereinschob. Er glaubte, der einzige Mensch auf der Welt zu sein, und nahm es offensichtlich als natürliches Merkmal seiner Anatomie hin, dass er am Hosenbund am Boden festgemacht war, also lediglich sitzen konnte. Kaspar war im reinsten Sinn ein Begriffsloser, ein Sprachloser, ein Unzivilisierter, ein noch unbearbeitetes Stück Mensch, ein Rohling, wie einer, der von einem Planeten heruntergefallen ist. Als Kaspar mit einem Schlage ausgesetzt und in eine biedermeierliche Bürgerwelt hineingestoßen wird, entwickelt sich die Geschichte einer Passion, einer langsamen Abtötung dessen, was an ihm spontan menschlich war. Am Schluss, als Kaspar ermordet ist, sucht man verzweifelt nach irgendeiner Deformation an ihm. Dass das Deformierte die bürgerliche Gesellschaft ist, die ihn nach ihren Maßstäben abrichten wollte, dafür sind sie alle blind.
(Quelle: Broschüre Das Fernsehspiel im ZDF, März bis April 1977, herausg. vom Zweiten Deutschen Fernsehen, Informations- und Presseabteilung / Öffentlichkeitsarbeit, Mainz)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 11. November 2020
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