Jeans
1980
Inhalt
Letzten Endes um nichts Illegales An langen und vielfach verknoteten Fäden ist das Arbeitnehmer-Einzelschicksal zwischen den übergreifenden Wirtschaftskräften aufgehängt. Ist das darstellbar? Wenn der Mensch ethisch so wichtig und faktisch so winzig ist, wo öffnet sich einmal der Durchblick auf das große, ja internationale Ganze, ohne im Vordergrund den Mensch (oder weniger "in die Geschichte als an der Geschichte eingeht") unscharf werden zu lassen.
Dieses Fernsehspiel hofft eine kleine Gasse gefunden zu haben, die über das Umfassende nachdenken und zugleich das menschliche Einzelwesen erleben lässt in Gestalt des Paares Jochen und Gabi Kampmann, das, nach früherer auseinandergegangener Bekanntschaft, in Berlin in einem geförderten und hierher umgesiedelten Textilbetrieb zueinanderfindet. Gabi ist Schneidermeisterin. Jochen als jungen Ingenieur freut sich - nach einem Unfall mit längerer Rehabilitation - durch Gabis Vermittlung hier als technischer Betriebsassistent endlich einen Fuß in die Tür zu bekommen. Die alte Liebe bewährt sich. Man rauft sich zusammen, man heiratet. Die Mehreinnahmen durch die Berlin-Beschäftigung sind dem jungen Paar willkommen. Jochen schlägt so gut ein, dass er seinem direkten Vorgesetzten, dem technischen Betriebsleiter Kronbacher, unversehens zum Dorn im Auge wird. Kronbacher hat Probleme in seiner Familie, ist nicht mehr der Jüngste und sicher auch nicht die absolute Spitzenkraft auf dieser Stelle. Einstweilen aber hält ihn noch sein alter Dutzfreund, Direktor Bärwinkel, auf seinem Posten.
Eines Tages weiht Bärwinkel Jochen in seine Pläne ein, hier eine Reihe von Arbeiterinnen und Arbeitern aus einem Land der dritten Welt anzulernen, mit dem Ziel, später in ihrem Heimatland einen neuen Betrieb mit ihnen in Schwung zu bringen. Jochen soll diesen Betrieb leiten und auch Gabi in der Näherei eine führende Position erhalten. Bärwinkel nimmt den jungen Aufsteiger sogar auf eine Informationsreise dorthin mit.
Was jedoch anfangs wie reine Entwicklungshilfe aussieht, zielt allmählich immer deutlicher auf eine Auslagerung und Übersiedlung großer Teile des Berliner Betriebes hin, der im Übrigen nur ein Zweigwerk eines großen Konzerns ist. Die Mindestzeit für die Inanspruchnahme der Berlin-Förderung ist erfüllt, die Maschinen sind zum großen Teil abgeschrieben. Die Arbeiterschaft bekommt, nicht zuletzt durch eine Indiskretion des um seine Existenz bangenden Kronbacher, viel zu früh (im Sinne der Werksleitung) Wind von der Auslagerung und ihrem Umfang. Es gibt Auseinandersetzungen mit den Arbeiterinnen und Arbeitern, mit Betriebsrat und Gewerkschaften. Doch, da es letzten Endes um nichts Illegales geht, setzt sich der Konzern mit seinem Vorhaben durch. Nur in einem Billiglohnland kann man - so Bärwinkel - dem Konkurrenzdruck auf dem Weltmarkt noch standzuhalten. In Berlin sollen nur noch wenige, nicht so lohnintensive Abteilungen und Arbeitsvorgänge verbleiben. Auf jeden Fall verlieren Hunderte den Arbeitsplatz, darunter auch Kronbacher, den sein Freund Werner Bärwinkel nach dieser "Störung des Betriebsfriedens" nun doch nicht mehr halten kann.
Trotz dieser Umstände vermögen Jochen und Gabi beim Aufbau des neuen Betriebes in der Dritten Welt ihre Tätigkeit noch als eine Art Entwicklungshilfe zu sehen. Jochen hatte schon vorher auf der Informationsreise die Armut und das Elend der arbeitslosen Massen (ohne soziales Netz) gesehen und betrachtet es schon als sinnvoll, zu noch so billigen Stundenlöhnen, etwa 2 Mark die Stunde, vielen wenigstens überhaupt einmal Arbeit zu verschaffen. Andererseits glaubt er, dass durch diese Art von Hilfe - Ansiedlung von Industrie in zollfreien Zonen - das betreffende Land allmählich zur Entwicklung einer eigenen Industrie und einer nennenswerten Infrastruktur kommt. Kraftvoll nimmt er mit Gabi alle Aufgaben in Angriff, entwickelt Pioniergeist, genießt das berufliche Abenteuer, bis sie allmählich, Jochen zuerst, Zweifel an dem menschlichen und entwicklungspolitischen Sinn ihres Unterfangens bekommen.
Die Arbeiterinnen stehen unter starkem Druck und haben oft zehn- oder mehrköpfige Familien, die vom Land an den Stadtrand gezogen sind, von ihrem kleinen Lohn mitzuernähren, Menschen, die auf dem Land nun womöglich fehlen. Soziale Einrichtungen gibt es so gut wie nicht. Gewerkschaftsarbeit im deutschen Sinne ist ziemlich undenkbar. Die Tätigkeiten sind einförmig (nicht zuletzt, weil man sich auch nur noch auf ein Produkt, Jeans, spezialisiert hat. Das schließt die Höherqualifizierung für das Gros der Arbeiterschaft und somit auch eine rasche Entwicklung zur Selbstständigkeit für das ganze Land weitgehend aus. Und wer garantiert, dass nicht "Marktnotwendigkeiten" den neuerlichen, relativ leicht zu bewerkstelligenden Umzug in ein noch günstigeres Billiglohnland auszulösen oder - durchaus schon in einigen Zweigen eingetroffen - durch Vollautomation unter gleichzeitiger Rückwanderung in das Industrieland hier wie dort nun Arme und noch nicht ganz so Arme gleichermaßen um Arbeit und Brot gebracht werden?
Jochen zeigt soziales Gewissen, leistet sich ein paar Kurzschlusshandlungen, die sich ein technischer Betriebsleiter eines Zweigbetriebes in einem Entwicklungsland besser nicht leisten sollte. Bärwinkel fliegt alarmiert herüber, glaubt, man habe sich nur übernommen, und will Jochen, den er nach wie vor für eine Spitzenkraft hält, durch einen Urlaub wieder fit machen. Aber der Stachel sitzt tiefer. Auch für Gabi. Nicht zuletzt die Begegnung mit einem "ausgeflippten" ehemaligen Entwicklungshelfer, den die beiden im Firmenwagen ein Stück weit durch die Wüste mitnehmen, hat sie, die hier immerhin fast dreimal so viel wie zu Hause verdienen, sehr verunsichert...
Die Handlung ist - was könnte sie sonst sein? - fiktiv. Aber sie ist nicht unrealistisch, sondern als Modell, auch in beweiskräftigen Einzelheiten recherchiert. Einen Konzern unter dem vorkommenden Namen gibt es unseres Wissens bisher nicht, und das Entwicklungsland, in dem wir stellvertretend für Dutzende von Ländern der Dritten Welt drehen durften, haben wir fairerweise ungenannt gelassen, da es sich hier nicht um ein Porträt dieses Landes, sondern um eine Spiegelung und Verdichtung weltweit zu beobachtender Vorgänge handeln soll, in die auch Gabi und Jochen Kampmann am kleinen Punkt ihres Wirkens verwickelt sind. (Peter Göbbels)
(Quelle: Das Fernsehspiel im ZDF, Information und Presse/Öffentlichkeitsarbeit, Heft 34, September bis November 1981)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 31. Oktober 2020
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