Jugendweihe
1977/78
Inhalt
Jedes Jahr im Frühjahr war es wieder so weit: die Schüler der 8. Klasse an den Schulen der DDR erhielten die "Jugendweihe" - sofern sie das wollten bzw. sich im Vorfeld nicht dagegen entschieden hatten. Damit wurden sie, so hieß es zumindest immer, in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen. In diesem Jahr ist dieses Ereignis auch für Tim Schäfer (Michael Böttcher) angesagt. Die Weihe selbst erteilt man den Mädchen und Jungen mit einem Festakt im Kulturhaus. Danach begibt sich die Familie in ein Hotelrestaurant, um das Ereignis gebührend zu feiern. Für Tim ist dies aber auch ein Moment größter Spannung, denn nun erhält er ja die Geschenke anlässlich seines Ehrentages. Gewünscht hatte er sich eigentlich ein Moped, was ihm aber von der Mutter ausgeredet wurde. Schon der Jugendweiheanzug kostete 300 Mark, und das restliche Budget, über das die Eltern dann noch verfügten, reichte aus, um Tim eine Automatikarmbanduhr zu schenken. Vater Schäfer (Martin Trettau) hat dann für seinen Sprössling noch eine Überraschung parat: eine Lehrstelle für Tim in der Druckerei. Dafür kann sich Tim aber gar nicht begeistern, denn er hat einen ganz anderen Berufswunsch, den er seinen Eltern erst am Abend dieses Tages präsentieren wird - und das ist dann für diese die Überraschung des Tages! Grundlage für diese TV-Produktion war das Hörspiel von Gerhard Rentzsch, das 1976 ausgestrahlt wurde. (Quelle: www.fernsehenderddr.de)
Jugendweihe: ein bedeutsamer Festtag im Leben junger Menschen der DDR, die nun zu den Erwachsenen zählen und plötzlich mit "Sie" angesprochen werden. Verwandte und Freunde kommen, um zu gratulieren. Nicht selten treffen sich bei diesem Anlass Familienangehörige aus beiden Teilen Deutschlands. Ihre Lebensansprüche und sozialen Gewohnheiten sind oft unterschiedlich, sie werden nicht nur im öffentlichen Leben sichtbar, sondern drücken sich auch im privaten Bereich aus. Ein solches Zusammentreffen der Verwandten aus der DDR und der Bundesrepublik gibt es auch bei der Jugendweihe von Tim Schäfer. Die Feier soll im "engsten Familienkreis" stattfinden und dazu sind Onkel und Tante nebst Tochter Anke aus Uelzen angereist. Man mag sich, versucht aber krampfhaft, politischen Gesprächen auszuweichen. Hin und wieder versiegt der Gesprächsstoff. Tim und Anke dagegen sind unbeschwert, sie begegnen sich zum ersten Mal. Überraschungen bleiben nicht aus. Und Tim bringt es ziemlich aus dem Häuschen, dass sich eine Cousine ungeniert "oben ohne" zeigt und aus ihrem Busen ein weltanschauliches Problem macht. Tims Vater möchte zu gerne wissen, was die Tilgners bei der letzten Bundestagswahl gewählt haben. Aber als es Vater Schäfer gelingt, nach manchen diplomatischen Umwegen seine Frage an den Mann zu bringen, fällt die Antwort seines Schwagers rätselhaft aus... (Quelle: Broschüre ARD Fernsehspiel, Jan. - März 1980, herausgegeben von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland)
Die von "drüben", das sind diesmal wir... Von "Besuch aus der Zone", ausgestrahlt im Jahre 1958, bis hin zu "Grüß' Gott, ich komm' von drüben", gesendet 1978, haben im Deutschen Fernsehen zahlreiche Fernsehspiele den Vorgang immer wieder beschrieben: Die Begegnung von Landsleuten (oder "Angehörigen beider deutscher Staaten") von diesseits und jenseits der Zonengrenze, der Demarkationslinie, der Staatsgrenze. Die Umständlichkeit und Genierlichkeit solcher Umschreibungen eines Tatbestandes schlägt auch schon das Thema an, das in immer neuen Variationen wieder und wieder durchgespielt worden ist: Wie steht es mit den viel zitierten "zwischenmenschlichen Beziehungen", wieviel Gemeinsamkeiten gibt es noch unter Verwandten, Freunden? Haben sich Menschen mit einer gemeinsamen Geschichte, die Angehörigen eines Volkes, die durch eben diese gemeinsame Geschichte voneinander getrennt wurden und in unterschiedliche politische Umstände eingewachsen sind, tatsächlich auseinandergelebt oder nicht? Der NDR hat das Fernsehspiel "Jugendweihe" des DDR-Fernsehens erworben, um die Zuschauer in der Bundesrepublik mit der "anderen" Perspektive bekannt zu machen. Denn die von "drüben", das sind in diesem Film einmal nicht die Besucher aus der DDR bei uns, die von "drüben", das sind diesmal wir, repräsentiert durch Onkel und Tante aus dem Westen, die zur Jugendweihe von Tim Schäfer eingeladen worden sind und neben viel gutem Willen auch Anfechtungen, Versuchungen, Irritationen mitbringen. Onkel Wilfried aus Uelzen, ein Typ, dessen "Macken" in diesem Film der DDR keineswegs so bösartig aufgespießt werden, wie in manchem vergleichbaren Fernsehspiel der Bundesrepublik, steht in gewisser Weise für uns alle; nicht gerade ein Ausbund an Sympathie, aber auch alles andere als ein Ekel. Wir würden es uns zu leicht machen, wenn wir behaupten, der Spiegel, der uns da vorgehalten wird, wäre verzerrt. Zumal die Familie Schäfer, die den Besuch von "drüben" empfängt, von Autor und Regisseur viel ironischer, schärfer auf's Korn genommen wird. Augenzwinkernd, heiter erzählt der Film seine Geschichte - darum ist sie eigentlich erst recht zum Heulen. (Dieter Meichsner) (Quelle: Broschüre ARD Fernsehspiel, Jan. - März 1980, herausg. von der Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 2. Mai 2024
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