Der scharlachrote Buchstabe 1973
Inhalt
Der Schauplatz ist Salem, eine der ersten Puritaner-Kolonien in der Wildnis Amerika. Die Zeit: gegen Ende des 17. Jahrhunderts. Auf dem Pranger des Dorfes steht eine junge Frau. Die Frau heißt Hester Prynne, sie trägt einen scharlachroten Buchstaben am Kleid als Mal, das ihre Schande zeichnet: ein gesticktes "A" (wie 'Adultery' - Ehebruch). Einmal im Jahr muss Hester vor der Strange der Gemeinde Buße tun, denn seit sieben Jahren weigert sie sich, den Namen des Mannes preiszugeben, der der Vater ihres unehelichen Kindes ist. Eines Tages kommt aus der Wildnis ein Mann nach Salem. Er heißt Roger Chillingworth und war in Europa mit Hester verheiratet. Sein Schiff ist bei der Überfahrt nach Amerika vor der Küste gesunken und Chillingworth hat siebe Jahre als Arzt bei den Indianern in der Wildnis gelebt. Niemand in Salem kennt ihn, nur Hester erschrickt tödlich. er nimmt ihr den Schwur ab, seine Identität nicht zu verraten: Er wird in Salem bleiben und den Vater des Kindes suchen, um sich an ihm zu rächen. Sein psychologischer Spürsinn lenkt seinen Verdacht bald auf den jungen Gemeindepfarrer Arthur Dimmesdale, Hesters Seelsorger. Und während Hester tapfer versucht, sich um ihre kleine Tochter, die ungebärdige Pearl, in der Gemeinde Salem zu behaupten, drängt Chillingworth sich in das Leben von Dimmesdale. Dieser spürt die Gefahr, die ihm von dem rätselhaften Fremden droht, kann sich ihm aber nicht entziehen; er flieht in eine Krankheit, die ihn langsam zu verzehren droht. Als ein Schiff aus England in Salem anlegt, wagt Hester den Versuch, sich und Dimmesdale zu befreien: Sie sagt Dimmesdale, wer Chillingworth in Wahrheit ist - und sie überzeugt ihn, dass er mit ihr und der gemeinsamen Tochter Pearl nach Europa zurückfahren soll, um dort ein neues Leben anzufangen. Doch auch diesen Ausweg aus dem Teufelskreis der Vergangenheit vereitelt Chillingworth...
(Quelle: Broschüre Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, Ausgabe Januar - Juni 1973, Seite 101, Herausgeber: WDR-Pressestelle)
Wim Wenders über seinen Film: Ein Freund fragte mich, warum ich einen Film machte, in dem keine Autos, keine Tankstelle und keine Automaten vorkommen dürften. Eben darum, sagte ich, aber ich war mir meiner Sache nicht sicher. Das war, bevor wir angefangen haben, den "Scharlachroten Buchstaben" zu drehen. Welche Wirklichkeit außer der des Drehbuchs, der Dekorationen und der Schauspieler kommt noch vor in einem Film nach einem Roman aus dem 19. Jahrhundert über eine Geschichte aus dem 17. Jahrhundert? In Köln, wo wir zu drehen anfingen, arbeiteten wir in einem unterirdischen Studio. Am späten Nachmittag fuhr man wie aus einem Bergwerk im Aufzug ans Tageslicht. Ich wunderte mich jedesmal, dass es überhaupt noch hell war und hatte jeden Tag die zwangshafte Idee, die Kamera aus dem Studio herauszuholen und die Schauspieler zu filmen, wenn sie ein wenig geblendet und blinzelnd ins Freie traten. Als ob ich das dem Tageslicht schuldig gewesen wäre. Am letzten Drehtag in Köln weinte Yella, die das kleide Mädchen in dem Film spielt, weil die Dekorationen abgerissen wurden. In Spanien drehten wir zuerst an der Nordwestküste die Außenaufnahmen am Meer. Einmal konnten wir einen Schuss auf das Meer nicht machen, weil zu deutlich ein Dampfer am Horizont zu sehen war. Unser eigenes Schiff, ein Dreimaster, war aus Pappe und hing an dünnen Drähten 10 Meter vor der Kamera in der Luft. Als Hans Christian Blech einmal in einer Drehpause mit seiner 8-mm-Kamera das Meer filmte, hatte ich eine unbändige Lust, ihn im Kostüm und mit einer Kamera in unserem Film vorkommen zu lassen, neugierig die Puritaner filmend. Im "Scharlachroten Buchstaben" hat er nie Gelegenheit, mit einem Gerät umzugehen. In dem Westerndorf in der Nähe von Madrid, in dem wir die letzten 14 Tage Aufnahmen machten, gab es einen zweistöckigen Saloon, den wir nicht - wie die anderen Häuser - verändern konnten, so dass er in eine Stadt in Neuengland aus dem 17. Jahrhundert gepasst hätte. Es durfte also nie ins Bild kommen. Mittags saßen alle an langen Tischen in diesem Saloon beim Essen. Solche eindringlichen und wahren Bilder wie die (ungefilmten) aus dem Saloon konnten in einem Film nicht vorkommen, aus dem wir die Realität wie einen faulen Apfel heraushalten mussten. Bis auf die Möwe, die einmal durchs Bild flog. Jeder Film ist gleichzeitig auch ein Dokumentarfilm von sicht selbst und seinen Bedingungen. Für mich persönlich dokumentiert der "Scharlachrote Buchstabe" auch einen Zwang, mit dem ich nicht mehr arbeiten möchte: Ich möchte keinen Film mehr machen, in dem ein Auto oder eine Tankstelle, ein Fernsehapparat oder eine Telefonzelle nicht zumindest erscheinen dürften. Das ist emotional, aber es geht auch um Emotionen: die mir nur möglich scheinen in Filmen, die keinen Zwängen mehr ausgesetzt sind und keinen Zwang mehr ausüben, weder auf sicht selbst noch auf die Leute, die in ihnen vorkommen, und auch nicht auf den Himmel über ihnen und den Hund, der im Hintergrund vorbeiläuft. Die Kinder im "Scharlachroten Buchstaben" bringen allerdings alles durcheinander, was ich hier geschrieben habe. Sie bewegen sich schon in einem Science Fiction-Film.
(Quelle: Broschüre Fernsehspiele Westdeutscher Rundfunk, Ausgabe Januar - Juni 1973, Seite 114/115. Herausgeber: WDR-Pressestelle)
Layout: Rosemarie Kuheim 1. März 2021
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