Die Fälschung
1981
Inhalt Ein Mann hetzt, Deckung suchend, durch die zerschossenen Straßen von Bad Edriss, dem ehemaligen Geschäftsviertel der Beiruter Altstadt. Schüsse peitschen, irgendwo in den Trümmern bellt eine Maschinenpistole auf, aus den ausgebrannten Fensterhöhlen einer Ruine quillt schwarzer Rauch. Am Straßenrand brennt lichterloh ein Autowrack. Der Mann, der hier um sein Leben rennt, heißt Georg Laschen. Er ist Reporter einer Hamburger Illustrierten, die ihn nach Beirut geschickt hat, damit er über den libanesischen Bürgerkrieg berichtet. Laschen unternimmt gemeinsam mit seinem Fotografen Hoffmann nächtliche Streifzüge durch die vom Geschützdonner erzitternde Stadt. Er wagt sich weiter vor als nötig und gerät ins Feuer der vermummten Heckenschützen. Doch das Inferno ist nur die eine, dunkle Seite dieser Stadt. Laschen, von Todessehnsucht getrieben, wird doch jeden Morgen wieder vom Leben überwältigt, das mit orientalischer Vielfalt hartnäckig auf seiner Fortdauer besteht. Die Heckenschützen putzen ihre Waffen, und auch die Opfer der kommenden Nacht haben noch viel vor. In diesem Chaos aus Tod und Entsetzen trifft Laschen auf eine Frau. Ariane Nassar ist Angestellte der Deutschen Botschaft und Araberin aus Leidenschaft. Sie lädt den deutschen Journalisten zum Abendessen sein. Ariane: "Sie kennen die Situation in der Stadt, Sie müssen kommen, bevor es dunkel wird, und vor morgen früh können sie nicht wieder weg..." Nach dieser Nacht erlebt Georg Laschen die Wirklichkeit des Krieges anders. Nicolas Born beschreibt seinen Protagonisten: "Er hatte Arianes Körper zurückgelassen im Dunkeln. Heute konnte, wenn er arbeitete, nichts Falsches entstehen, selbst wenn er die Leser bediente und ihre Gier nach Schrecken befriedigte. Er war fähig, ihnen skrupellos ihre Schlachten zu liefern, die sie eben täglich zum Frieden benötigten." "Ich mach euch euren Realismus, mühelos und mörderisch." Laschen beginnt, das Spektakel absurder Vernichtung zynisch zu kommentieren. Das Sterben um ihn herum nimmt er teilnahmslos zur Kenntnis, den falangistischen Feudalherren widerspricht er nicht mehr, der Handel seiner Kollegen mit Waffen, Pornos, Horrorbildern interessieren ihn nicht mehr. Man findet Laschen nicht mehr dort, wo er als Journalist zur Stelle sein müsste, sondern bei Ariane. Doch sie hat nur einen Wunsch, ein Kind zu adoptieren. Laschen begleitet sie in christliche Klöster palästinensische Lager, bis sie schließlich das Kind findet. Während dieser Suche, das spürt Laschen, ist er näher an der Wirklichkeit als auf den Kriegsschauplätzen. An Arianes Seite glaubt er auch, endlich wieder schreiben zu können. Der Wahnsinn des Krieges aber steigert sich in absurde Massaker. Der Tross der Journalisten setzt sich nach Damaskus und Kairo ab. Laschen weigert sich, Beirut zu verlassen. Er ist es leid, die Rolle des "Herrn aus Deutschland" zu spielen, der sich immer nur empört. Er will mitleben, sich beteiligen - beteiligen sich auch an jenem Gemetzel, sich einmischen. Bis er eines morgens seinem eigenen blutüberströmten Spiegelbild gegenübersteht.
Volker Schlöndorff zu seinem Film: "Am 29. November 1980 kommen wir in Beirut an. Ich war im Juli und Oktober schon zu Vorbereitungen da, aber jetzt wird's ernst. Diesmal sind Bruno Ganz, Igor Luther, das Team und die Kamera mit dabei. Allen ist ziemlich mulmig, ängstlich schauen sie auf die vielen Waffen, wittern in jedem Araber einen finsteren Killer. Die Fahrt vom Flughafen zum Hotel reicht den meisten schon. Jetzt bricht die Welt zusammen, jetzt geht gar nichts mehr, ist der erste Gedanke. Schwere MGs auf Lieferwagen montiert, klapprige Taxis, amerikanische Superschlitten, Flüchtlingslager am Straßenrand, Barrikaden auf der Autobahn, riesige Erdwälle zwischen enthaupteten Palmen, Thymian, Basilikum und Petersilie fuderweise mitten auf der Kreuzung verkauft, ein unvorstellbares Verkehrsgewühle und Gehupe, keine Ampeln, keine Polizei, - keine Regeln - und keine Unfälle. Der Verkehr reguliert sich selbst, zwar stockend, aber organisch. die Autofahrer beobachten sich gegenseitig. Unsere Lastwagen, das elektrische Aggregat und die französische Feuerwehr kommen mit dem Fährschiff aus Genua im Hafen an. Dort werden sie gleich gewarnt - vertraulich -, eine Gruppe neuer Scharfschützen sei gerade eingetroffen. Die Feuerwerker sind dann auch die ersten, die ihren Künsten ausgesetzt sind. Als sie nach Drehschluss des ersten Tages Gasflaschen und Schwarzpulver abtransportieren wollen, pfeifen ihnen die Kugeln um die Ohren. Auf dem Bauch kriechend verlassen sie ihr gefährliches Gut. Einem syrischen Soldaten, der ihnen Feuerschutz geben soll, durchlöchert es zweimal den Helm. Doch passiert ist keinem etwas: auch der syrische Soldat hat nur einen leichten Streifschuss. Das zurückgelassene Material wird anderntags, sorgfältig in einem Hauseingang gestapelt, wiedergefunden. Achmed, ein Mann der allein mit drei Hunden in der Altstadt haust, um das verlassene Haus seiner Herrschaft zu bewachen, hat die Kisten sichergestellt. Er zeigt uns, wie man sich zwischen den Linien bewegen muss. Wie aufrecht man gehen kann, ohne getroffen zu werden. Welche Querstraßen, durch die die Scharfschützen aus Osten Einblick haben, man meiden muss. Während der drei Monate, die wir drehen, gibt es keinen einzigen Verletzten. Wie die Libanesen richten wir uns ein im Chaos. Was uns beschäftigt, sind die elementaren Dinge des Lebens: wo gehen wir essen, wo gibt es frischen Obst und Gemüse, an welcher Straßenecke den billigsten geschmuggelten Whisky, wo die billigsten Zigaretten, wo Havanna-Zigarren und japanische HI-FI-Geräte. Überhaupt scheint es kein Elend im Land zu geben. Trotz sechs Jahren Krieg verhungert niemand. Jeden Morgen werden aus der Bekaa und aus dem Süden des Landes Salat, Spinat, Tomaten, Salbei, Thymian, Basilikum, Äpfel, Bananen, Orangen, Clementinen, Geflügel und Hammelfleisch samt aller arabischen Spezereien auf die Märkte und in die Buden der Stadt gebracht. Diese Buden bleiben 24 Stunden geöffnet, weil es keine Lager und keine verschließbaren Geschäfte gibt. Die Verkäufer wechseln sich alle acht Stunden ab. Straßenhändler bringen uns morgens um sieben zum Drehbeginn frische Thymianbrötchen. Thymian soll die Sinne öffnen. Gegen elf kommen dann Honigkuchen und arabischer Kaffee. Am Nachmittag frischen Ziegenkäse gebacken und Fruchtsäfte, gegen Abend Arrak, später ein guter Rot- und Weißwein, vorm Schlafengehen weißer Kaffee aus Orangenblüten. Es sind nicht nur wir Privilegierten, die diesen Genüssen frönen. Wir folgen vielmehr dem Beispiel derer, die den Krieg hier wirklich miterlebt haben, die schon immer und für immer hier sind, nicht befristet wie wir. Wir lernen von ihnen, das Leben in jedem Augenblick ernst zu nehmen, das heißt auch zu genießen. Die Frage nach dem Sinn des Lebens stellen sie wenig. Angesichts der 60000 bis 80000 Toten der letzen Jahre besteht der Sinn zunächst einmal darin, am Leben zu sein. Es ist auch nicht das berühmte >wenn wir schon auf dem Vulkan leben, wollen wir auch darauf tanzen<, sondern eine stille, ernsthafte Art, intensiv zu erleben, was sich als nicht mehr selbstverständlich erwiesen hat. So wie jede Gruppe ihren Grund zum Kämpfen hat, auch jeder Kämpfer: wer in eine Partei eintritt, erhält etwa 400 Mark Monatslohn und eine Waffe. Wo es weder Arbeit noch Hoffnung auf Ausbildung gibt, wo mit zunehmender Hoffnungslosigkeit die politischen Aussagen immer irrationaler werden, sind das Argumente. Mit ein paar Pfunden in der Tasche und einer Waffe in der Hand ist man wer - vor allem, wenn man fünfzehn ist und keine Zukunft hat. Äußeres Zeichen dieser alles bestimmenden Argumente ist Beiruts Wall Street. Mitten in der zerbombten, ausgebrannten und geplünderten Altstadt liegt am Platz Riad-el-Solh eine Oase: die Straße der Banken, an deren Palästen keine Scheiben zertrümmert, keine Mauer zerschossen ist. Bank der Pharaonen, Banco del Santo Spirito, Moskau Narotni Bank, Deutsche und Chase Manhatten Bank liegen da friedlich beieinander und horten den libanesischen Goldschatz, der trotz oder wegen 6 Jahren Krieg noch immer der größte im Mittleren Osten ist, und von den Krumen, die von diesen Hochhäusern ins Land fallen, leben alle, den der Libanon produziert außer Haschisch, Obst und Gemüse so gut wie nichts. Volker Schlöndorff (Literatur: Volker Schlöndorff/Nicolas Born/Bernd Lepel, "Die Fälschung als Film und der Krieg im Libanon" (Zweitausendeins).
(Quelle: Kino - Bundesdeutsche Filme auf der Leinwand 1981/82, herausgegeben von Robert Fischer, Verlag Monika Nüchtern, München)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 16. Dezember 2020
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