Hambacher Frühling 1982
Inhalt Es sei an der Zeit, dass ein freiheitlich-demokratisches Deutschland seine Geschichte, die bisher nur die Geschichte der Herrschenden war, anders schreibe, hat Gustav Heinemann gefordert. Bei diesen Worten mag er auch an das "Hambacher Fest" vom 27. Mai 1832 gedacht haben, das er in seinen Reden oft zitierte.
150 Jahre danach erinnert unser Dokumentarspiel an diese große Volksversammlung, die bei der Schlossruine Hambach bei Neustadt in der - damals zu Bayern gehörenden - Pfalz stattfand. Dekomkratisch und national gesinnte Männer und Frauen, voran die Juristen und Redakteure Johann Georg August Wirth und Philipp Jacob Siebenpfeiffer, luden damals zu "einem deutschen Nationalfest" ein, "um in einer großen Volksversammlung... den Grundstein zur Wiedergeburt Deutschlands zu legen". Zwischen 25000 (so die Schätzung der Polizei) und 50000 (so die Schätzung des Siebenpfeiffers) Menschen aus vielen Teilen Deutschlands, dazu als Gäste Teilnehmer der polnischen Revolution, des russischen Dekabristen-Aufstandes, der französischen Juli-Revolution und des griechischen Unabhängigkeitskrieges strömten in Hambach zusammen, um berauscht von zündenden Reden und vom Pfälzer Wein die Volkssouveränität als Grundlage aller Staaten, die Einigung Deutschlands und eine Konföderation der europäischen Freistaaten zu fordern.
Die politische Wirklichkeit der Zeit, in der diese erste Massenkundgebung der deutschen Geschichte stattfand, sah allerdings anders aus. Von Wien aus beherrschte der österreichische Staatskanzler Fürst von Metternich mit Hilfe der von ihm initiierten "Karlsbader Beschlüsse" von 1819 die Situation in Deutschland: Zensur und Gesinnungsschnüffelei, Verbote von Studentenverbindungen sowie aller freiheitlichen Veröffentlichungen und Versammlungen sorgten für politische Friedhofsruhe.
Die Ernüchterung der Teilnehmer von Hambach kam rasch. Die Folgen hatten vor allem die Initiatoren des Festes zu tragen. Sie wurden vor Gericht gestellt, zwar von unabhängigen Pfälzer Richtern freigesprochen, aber sogleich wieder verhaftet, verurteilt, ins Gefängnis geworfen, gedemütigt und gebrochen, vor allem aber damit um ihre bürgerliche Existenz gebracht. Einer, Siebenpfeifer, floh aus der Haft ins Ausland und starb später in geistiger Umnachtung, der andere, Wirth, lehnte prinzipiengetreu die Flucht, die auch ihm ermöglicht wurde, ab. Als schwerkranker Mann kam er 1848 als Abgeordneter der Nationalversammlung in die Frankfurter Paulskirche, starb aber noch im selben Jahr, ohne das Scheitern der Revolution zu erleben. Die Filmhandlung - die das Hambacher Fest natürlich nicht rekonstruieren konnte - widmete sich vor allem dem Schicksal dieses Mannes.
Die politischen Vorstellungen und Forderungen der "Hambacher" erfüllten sich zu ihren Lebzeiten nicht: Die imperiale Machtpolitik sollte gerade in Deutschland noch über hundert Jahre später grausame Triumphe feiern, bevor der Zusammenbruch von 1945 ein zweites Mal die Möglichkeit bot, die polititschen Ziele von Hambach zu verwirklichen. Mit Recht sehen daher heute alle demokratischen Parteien in diesen Vorkämpfern für Volkssouverenität und Freundschaft mit den europäischen Nachbarvölkern die politischen Vorläufer unserer Republik. W. M.
(Quelle: Broschüre "Das Fernsehspiel im ZDF", Heft 36, März - Mai 1982, Seite 74-77, herausg. vom Zweiten Deutschen Fernsehen, Infomation und Presse/Öffentlichkeitsarbeit)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 20. Oktober 2022
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