Stille Nacht
1974
Inhalt Die Geschichte ist einfach, unpathetisch, alltäglich, ohne große Gesten, ohne große Leidenschaften. Aber gerade das ist ihre Stärke. Durch die Alltäglichkeit und Austauschbarkeit ihrer Personen zwingt sie uns, uns mit ihrem Negativhelden zu identifizieren, im vorgehaltenen Spiegel uns selbst zu erkennen, die Kritik an unserem Verhalten mit Betroffenheit anzunehmen. Stille Nacht ist eine kurze Begegnung, eigentlich nur ein Dialog zwischen Mutter und Sohn. Sie bereitete sich schon seit Tagen darauf vor, das Altersheim zu verlassen, um das Weihnachtsfest im Kreise ihrer Familie zu verbringen. Nun ist ihr Sohn endlich gekommen, aber nicht um sich abzuholen, wie er allmählich durchblicken lässt, sondern um ihr klar zu machen, dass seine Geschäfte ihn immer mehr in Anspruch nähmen, so dass kaum noch Zeit für sie übrig bliebe und zu Hause eigentlich auch keiner nach ihr frage, nicht einmal an Weihnachten. Während sie sich an jedes seiner Worte klammert, als suche sie eine letzte Hoffnung, dient ihm das Gespräch nur als Abwiegelung lästiger Erwartungen. Er stiehlt sich schließlich aus seiner Verantwortung, indem er ihr ein nichtssagendes Geschenk überreicht, ein Fernsehgerät als Trost in der Einsamkeit, als Ersatz für Nächstenliebe, zu der er nicht mehr fähig ist.
Harald Mueller will sein Stück als Kritik an einem Symptom unserer Überflussgesellschaft verstanden wissen, nämlich an der Degeneration der Gefühle, an dem Verfall der zwischenmenschlichen Beziehungen, die - ähnlich einer Ware - mit Geld aufgewogen und ersetzt werden.
(Quelle: Das Fernsehspiel im ZDF, Information und Presse/Öffentlichkeitsarbeit, Heft 7, Dez. 1974 bis Febr. 1975)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 6. Mai 2024
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