Menschenfresser
1977
Inhalt
"Menschenfresser, das ist die Geschichte eines Mannes, der in den Verdacht geriet, Kinder umgebracht zu haben und durch die Mangel der öffentlichen Hysterie und des polizeilichen Erfolgszwanges gedreht wurde. Ein Stoff für ein Drehbuch? Arbeitsteilig wollten wir die Sache angehen: Bernd Schroeder, zuständig für die Geschichte, die Dialoge, die Dramaturgie; ich für alle anfallenden journalistischen Recherchen. Es kam natürlich alles anders. Teamwork auf der ganzen Linie. Möglich wurde diese Arbeitsweise durch stundenlange Gespräche, durch verteiltes Rollenspiel. Manchmal ging die Identifikation mit unseren Figuren so weit, dass wir nahe daran waren, selbst vor Tätlichkeiten nicht zurückzuschrecken. Alles wurde auf Kassette mitgeschnitten. Gewiss, vieles war nicht brauchbar, die Bänder mussten >eingedampft< werden, aber sie vermittelten uns immer zwei wichtige Dinge: Atmosphäre, wie sie bei der stillen Arbeit an der Schreibmaschine nicht entstehen kann, und sie lehrten uns eine Umgangssprache, die sich erheblich von jenen gedrechselten Sätzen unterscheidet, die nur das geduldige Papier zulässt. Wer spricht schon Kommata? (Inzwischen habe ich den Verdacht, dass es Schauspieler auch dann tun, wenn keine gesetzt sind. Umgangssprache lässt sich nur schwer vorschreiben, jeder hat seine eigene.)
Nützliche Erfahrungen für einen Journalisten, der angesichts der Nachrichtenflut auf seinem Schreibtisch zu leicht der Verlautbarungssprache anheimfällt. Und noch eine Erfahrung: so zu schreiben, dass man Bilder daraus machen kann. Rainer Boldt war von Anfang an mit dabei, nicht ständig, aber immer wieder. Stets die gleichen Fragen. Vor allem: Stimmen wir überein in der Psychologie der Figuren? Wir haben uns gestritten über Interpretationen, über den Verlauf der Handlung, und natürlich gab es auch einen großen Krach. Doch das bringt Lernprozesse in Gang.
Wir haben neugeschrieben, umgestellt, gestrichen, das Vorhandene wieder und wieder überarbeitet. Die größtmögliche Übereinstimmung sollte hergestellt werden zwischen Autoren, Regisseur und Redakteur. Und ein Team dieser Größe ist noch in der Lage zu Kompromissen, die der Sache dienen. Eben zu dieser Sache gehört auch die Mitteilung an den Zuschauer durch den Film. In diesem Fall die Mitteilung, wie ein Sonderling aufgrund seiner Außenseiterrolle in einem Netz von Vorurteilen, Verdächtigungen und Emotionen hängen bleibt, einem Netz, das von Polizei und Öffentlichkeit gemeinsam geknüpft wird. Wir wollen die Mitteilung machen, wie ein solcher Vorgang Eigengesetzlichkeiten entwickeln kann, die letztlich den Beteiligten die Handlungsfreiheit nehmen, selbst dann, als sie Zweifel an ihrem Verhalten spüren.
Es geht um einen jungen Mann in einer Kleinstadt, dem erst ein Mord an einem Kind vorgeworfen und drei weitere Kindermorde angehängt werden. Es gibt keine Beweise, aber es gibt dieses selbstgestrickte Netz, das sich zu einem passenden Täterbild zusammenfügen lässt. Ein Ergebnis. Alle Ängste, alle Arbeit können doch nicht sinnlos gewesen sein. Die Ruhe ist wiederhergestellt, und sie bleibt auch, als der Mann, dem man nichts nachweisen kann, in die Psychiatrie abgeschoben wird. Man will sein "Bestes", schließlich war er doch schon immer >irgendwie krank<.
Dies darzustellen ohne Diffamierung, ohne sich einen Prügelknaben herauszugreifen aus der Gesellschaft, aufzuzeigen, wie leicht wir alle solchen Vorurteilen und den sich daraus entwickelnden Zwängen unterworfen sein könnten, war unsere Absicht.
An den Kommentar eines Journalisten zu diesem Thema, an die Dokumentation der Fakten, an die Analyse lässt sich der Maßstab der Logik anlegen. Und das war vielleicht die wichtigste Erfahrung für mich, dass so vieles, was endlich das Fernsehspiel ausmacht (ich nenne es das Künstlerische), eingebracht von allen Seiten, Regisseur, Schauspieler, Maskenbildner usw., sich rationaler Messbarkeit entzieht."
(...schreibt Gerd Schneider zu seinem Film. Quelle: Robert Fischer/Doris Dörrie Jahrg. 1978: Kino - Bundesdeutsche Filme auf der Leinwand, Verlag Monika Nüchtern, München)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 29. August 2020
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