Sonntag

 

1984/85

   

Filmliste Stanislav Barabáš

   

 

 

Regie und Fernsehbearbeitung 

Stanislav Barabáš

Drehbuch 

Nach einem Roman von Georges Simenon

Produktion 

ZDF, Redaktion: Heinrich Carle

Kamera 

Alfred Ebner

Musik 

Rolf Kühn

Ur-/Erstaufführung 

-

Genre 

Kriminalfilm

  

  

Darsteller

Rolle

Hans-Georg Panczak 

Erwin

Lisa Kreuzer  

Berthe

Mascia Musy

Ada

Catriona Mac Coll 

Nancy

Eva Maria Meineke  

Berthes Mutter

Wolfgang Büttner  

Berthes Vater

Erika Scrinzi 

Frau Plattner

Rudolf Wessely  

Dr. Brixi

Ida Ramponi 

Paola

Francesco Carnelutti 

Pascali

    

 

   

Inhalt

 

Als Erwin und sein Vater Berthes Eltern zum letzten Mal in deren Gasthof in Norddeutschland besuchten, hatten diese eine große Überraschung bereit: Sie hatten Knall auf Fall ein kleines Hotel am Gardasee gekauft - in Ferienstimmung, von einem Makler überredet, verführt von dem traumhaften Panorama mit Pinien und Zypressen. Ein abenteuerlicher Entschluss, denn Berthes Vater war schon alt und krank. Sein Arzt - so verteidigte er den bevorstehenden Umzug - hätte ihm dringend ein milderes Klima empfohlen. 

Nach einigen Jahren bekam Erwin unerwartet vom Hotel Castello am Gardasee einen Brief, in dem Berthe und ihre Mutter ihn herzlich baten, doch schnell zu kommen und auszuhelfen, weil sich der Vater nach einem Schlaganfall um nichts mehr kümmern könne. Erwin kam und war nicht wenig angetan von diesem schönen Land.

Kurz darauf starb der Todkranke, und Berthes Mutter bewog Erwin, noch zu bleiben. Um Berthe mache sie sich große Sorgen, sagte sie, ihr Vermögen sei zerronnen. Beide seien sie hier Fremd geblieben, und das Mädchen hätte niemand, der ihr einmal beistehen könne. Ohne Erwin seien sie verloren.

Erwin, gelernter Koch, der sein Leben lang ein Zugvogel gewesen war, blieb im Hotel Castello und heiratete Berthe. Schon nach einem Jahr war die Ehe zur Hölle geworden. Erwin, der Berthe nur noch blind hasste, spielte schließlich mit dem Gedanken, einen brutalen Schlussstrich unter alles zu ziehen. Er war ein vorzüglicher Koch, der Restaurant und Hotel bald wieder in Schwung brachte. Er war gut Freund mit aller Welt.  Berthe dagegen hielt aus Distanz. Anfangs glaubte Erwin noch, alle Probleme seien gelöst, wenn er das Castello einfach verließe. Eine Affäre mit einer recht unkonventionellen englischen Journalistin, die im Castello Ferien machte, hatte sogar die Hoffnung in ihm geweckt, in London (in Soho) ein eigenes Restaurant eröffnen zu können. Später zeigte es sich, dass die Engländerin nicht im Traum daran dachte, aus diesem Abenteuer eine Liaison von Dauer zu machen.

Im täglichen Kleinkrieg blieb Berthe immer Siegerin; eine Frau, die in den Siegen einen Ersatz für ihre enttäuschten Erwartungen gefunden hatte. Sie hat den leichtsinnigen Erwin wohl nie für den richtigen Mann gehalten. Was Wunder, dass der "kleine Koch", der "kleine Lump", wie sie ihn schon beschimpft hatte, an Rache dachte. Eine Gelegenheit ergab sich rasch: Erwin schlief seit einiger Zeit mit der kleinen italienischen Küchenhilfe Ada. Als Bertha dahinterkam, weigerte sich Erwin, das Verhältnis aufzugeben und Ada wegzuschicken. Obgleich er das Mädchen nicht liebte, wäre er eher bereit gewesen wegzugehen.

Berthe fand sich seltsamerweise mit der Situation ab, verlangte aber, dass der Schein der Ehe gewahrt bliebe. So schlief man also im gemeinsamen Schlafzimmer. Berthe, noch immer nicht frei von Mädchenträumen, erhoffte sich wohl einen Neubeginn ihrer Ehe. Erwin sah jedoch in ihrem Verhalten nur den Fortbestand einer rabiaten Herrschsucht. Was anfangs nur wie ein böses Spiel aussah - seine Giftkocherei -, wird zur Realität. Berthe soll sterben.

Dann kommt der fatale Sonntag, auf den Erwin sich festgelegt und für den er alles so gewissenhaft vorbereitet hat: Berthes Lieblingsgericht, Reis mit Tintenfisch, wird er am Mittag mit einem sicheren und schwer nachweisbaren Gift versetzen. Die Ahnungslose würde nichts davon merken. Das hatte Erwin in nicht ungefährlichen Selbstversuchen ausprobiert.

Dann ist die Stunde da. Berthe bestellt ihr Essen. Erwin bereitet es unbemerkt vor. Ada serviert es ihr. Nun kommt alles ganz anders, anders als Erwin es erwartet hat . Er erweist sich als großer Stümper. (Heinrich Carle)

 

(Quelle: Broschüre Das Fernsehspiel im ZDF, Heft 47, Dezember 84 - Februar 1985, Seite 42-44, hrg. vom Zweiten Deutschen Fernsehen, Informations- und Presseabteilung / Öffentlichkeitsarbeit)

  

  

 

Simenon auf der Spur

Das muss man sich richtig vorstellen und einmal alle Gründe und Konsequenzen dieser Erscheinung nachprüfen: Von fast dreihundert Romanen des Georges Simenon - darunter auch die »Maigrets« - wurden bisher um die siebenhundert Film- und Fernsehfassungen gemacht in verschiedenen Weltsprachen und fast allen Kontinenten. Eine wahre simenonsche Epidemie. Zufall? Eher ein Kulturphänomen.

 

Ein persönliches Bekenntnis am Rande: Noch lange, bevor ich auf die Filmschule ging, schrieb ich einmal, damals Jurastudent, eine Filmrezension über einen französischen Film, der mich verblüfft hatte - es war während des Krieges, und es war in der Slowakei. Der Film hieß »Die Unbekannten in eigenem Hause«. Die Wirkung des Films auf mich war nachhaltig: Es war eine persönliche Ansprache. Der Name des Autors der Vorlage war mir entgangen. Der Film hatte eine ungewöhnliche, beängstigende Atmosphäre, die der damaligen Weltkatastrophe glich und sie zugleich widerrief. Die Sprache des Films war authentisch, und sie war voll von überraschenden psychologischen Beweisen zum Rätsel Mensch. Das Spiel des Hauptdarstellers - es war der große Raimu - war einmalig, war unvergesslich - kurz: Ich griff zur Schreibmaschine, schrieb die erste Filmrezension meines Lebens und tat damit den ersten Schritt in Richtung Film. Erst viele Jahre später erfuhr ich, dass der Autor der literarischen Vorlage für »Die Unbekannten in eigenem Hause« Georges Simenon hieß! Das war schon in der Zeit, als ich mich bei Simenon umsah, um bei ihm einen mir passenden Filmstoff zu finden. Seitdem wühle ich mit Vergnügen in diesem Reichtum von Prosa. Auch jetzt, nach den »Komplizen« und dem »Sonntag«, bin ich noch immer auf der Suche.

 

Wenn ich heute an die Anfangsphase der Arbeit am Drehbuch »Der Sonntag« zurückdenke und in alten Notizen blättere, komme ich mir selbst irgendwie komisch vor. Ich trat damals auf der Stelle und kam lange nicht weiter. Dabei war ich mit Werk und Gedankensystem von Simenon gut vertraut. Ich wusste auch eine Menge über ihn und von ihm. Ich war gut vorbereitet, die unmittelbaren Erfahrungen von der Arbeit an den »Komplizen« steckten mir noch in den Knochen, ich war auch ein gebranntes Kind. Trotzdem tappte ich hilflos wie ein Blinder, tastete mich mühsam voran, als hätte ich das erste Mal mit dem Werk eines mir völlig unbekanntes Autors zu tun. Was war passiert? Nun: Monsieur Simenon schlüpft diesmal in die Hauptfigur des Romans »Der Sonntag«, und zwar restlos mit allen Konsequenzen, was Denken und Handeln dieses bedeutungslosen Kochs Erwin betrifft, genauso, wie er vorher - in den »Komplizen« - in der Haut des Bauunternehmers Joseph Lamberts verschwand. Zwischen den beiden Hauptfiguren liegen aber Welten: Lambert, ein souveräner, stolzer und unnachgiebiger Mann, ein »Häuptling«; dagegen Erwin, der kleine Koch aus »Sonntag« - eine großartige Nebenfigur als Hauptfigur! Dieser Erwin ist ein labiler, unreifer Mann, ein von seiner Frau abhängiger Mensch, »ein kleiner Lump«, der stümperhaft versucht, eine heroische Tat zu vollbringen, wobei er kläglich scheitert.

 

Beide Figuren sind dabei zwei echte Söhne desselben Vaters Simenon. Nur er besitzt jene rare Fähigkeit, in seinen Personen restlos unterzugehen. Das ist vielleicht sogar der beste Gag des Meisters. Natürlich fördert solche totale Verwandlung eine ganz neue Optik, ein neues Ohr, andere Blicke, eine ganz andere Filmstruktur. Als ich das begriffen hatte, war ich Simenon für diese Verjüngungskur dankbar. Ich fing neu an.

(Stanislav Barabáš)

 

 

(Quelle: Broschüre Das Fernsehspiel im ZDF, Heft 47, Dezember 84 - Februar 1985, Seite 44, hrg. vom Zweiten Deutschen Fernsehen, Informations- und Presseabteilung / Öffentlichkeitsarbeit)

 

 

            

    

  

  

   

  

  

  

  

  

  

  

 

Layout: Rosemarie Kuheim

Bearbeitet: 29. April 2024

  

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