Der amerikanische Soldat

Meinung der Filmbewertungsstelle Wiesbaden

 

zurück zum Film

  

  

In der eingehenden Diskussion wurde u.a. die Frage behandelt, ob der Film etwa eine Parabel über den amerikanischen Imperialismus sein möchte. Sollte diese Absicht, wenn auch nur nebenbei, bestanden haben, wäre sie in der Durchführung äußerst schwach, mit zu wenig Material unternommen und mit zu vielen Möglichkeiten des Missverstehens.

  

Man muss jedoch Sinn und Absicht keineswegs in dieser Richtung suchen. Der Bewertungsausschuss sah bedeutsamere und weniger vordergründige Elemente im Inhalt des Films. So ist die Thematik des "Heruntergekommenen" mehrfach variiert, nicht nur beim ehemaligen amerikanischen Soldaten, sondern auch bei seinen Verfolgern. Die Grenze zwischen Kriminellen und Kriminalern (der Auftraggeber!) ist bis zur Gleichgültigkeit verwischt. Dann ist da die Thematik des Tötens, auch die alte klassische Kombination von Tod und Freiheit. Das Schicksal als absolute Determination ist in diesem Film immer gekoppelt mit der Frage nach der Freiheit oder wenigstens nach einem Ausweg. Kennzeichnend ist ein gewisser melancholischer Mechanismus, der einer Handlung nur in Ausschnitten oder Bruchstücken als Vehikel für ganz anderes, Dahinterliegendes, bedarf. Dabei werden berühmte Kriminal- und Westernfilme ebenso "zitiert" wie beispielsweise Büchner (Woyzeck) oder Brecht (die Szene im Hotelzimmer, wo das Zimmermädchen unmittelbar dem Zuschauer eine Geschichte erzählt). Dabei gelingt es Fassbinder, Theaterelemente, oder besser: elementares Theater in seinem Film noch zu verdichten.

  

Die Behandlung der Story und die Konsequenz des Stils werden erreicht in einer interessanten Abstraktion der Realität durch genaue Wiedergabe verkürzter Wirklichkeit; dabei bleibt die Story oft in der Schwebe, ohne im einzelnen zu überblickenden Zusammenhang; doch weiß man in jedem Augenblick, dass dieser Zusammenhang ganz konkret besteht, wenn er auch nicht konsekutiv aufgedeckt wird. Dies ermöglicht überraschende Wirkungen mit scheinbar ganz konventionellen Mitteln, und dies lässt auch das Abgleiten in Banalität nicht zu. Sogar das gar nicht so neue Ausdehnen einer Todessekunde glaubt man neu zu sehen. Was anderwärts kaum mehr ist als modischer Effekt, z.B. die Verwendung überlanger Schnitt, führt hier (gleich in der ersten Szene) zur Aufladung mit Spannung, Stoff und Story, immer wieder verschleiert oder durchbrochen, scheinen präzise durchdacht zu sein, während die Realisation durch Regie, Kamera- und Darstellerführung unmittelbar einem sehr ausgeprägten filmischen Instinkt folgt. Durch die  Wegnahme oder Vorenthaltung vordergründiger Orientierungsmöglichkeiten, etwa durch lückenlose gereihte Handlungspunkte, wird die Frage nach wesentlicherer Orientierung provoziert, ohne für Orientierung irgendwelcher Art einen Leitfaden anzubieten. Es gibt auch keine gängige Stellungnahme: statt Anklage, Kritik oder dergleichen wird lediglich notiert, aber mit einem nachhaltigen und bohrenden Effekt, der wiederum auf die Frage nach Orientierung verweist.

  

Auch in diesem Film zeigt Fassbinder ein äußerst realistisches und zugleich dichterisches Gefühl, dass ganz unabhängig von "Dekoration" das Milieu erst durch die Akteure geschaffen wird, durch sie erst entsteht, einfach dadurch, wie sie sich darin bewegen, wie sie ihre Umgebung anschauen. Dadurch ergibt sich so etwas wie Identifikation von Personen und Milieu, die erst im Zusammenhang mit der Geschichte jeweils entsteht. Das ist nur möglich durch konsequenten Gebrauch aller stilistischen Mittel und mit Hilfe einer feinfühligen Kamera; das setzt selbstverständlich auch voraus, dass die Darsteller richtig gewählt sind und der Intention der Regie zu folgen vermögen. In gewisser Weise ist das Bestechende an diesem Film und überhaupt an Fassbinders bisherigen Filmen das Gewöhnliche, das nicht gewöhnlich ist, und das Konventionelle, das, möglicherweise mit der nicht genau zu definierenden Begabung des Außenseiters, Wirkung außerhalb der Konvention erzielt.

  

(aus: Langfilme 1970-Besonders wertvoll, herausgegeben von der Verwaltung der Filmbewertungsstelle Wiesbaden, 14. Folge)

  

  

  

  

  

  

  

  

  

  

Layout: Rosemarie Kuheim

Bearbeitet: 13. April 2016