Nachruf Kurt Raab

  

  

  

Macht mir ein schönes Begräbnis

von Dirk C. Fleck

  

   

Die Stationsschwester im Hamburger Tropeninstitut führte mich mit unbewegtem Gesicht an eine Tür, als wollte sie einen Staubsauger aus der Besenkammer holen. "Besuch für Sie, Herr Raab!"

Da saß er auf der Bettkante, Deutschlands berühmtester Patient des Jahres. Der Fassbinder-Schauspieler Kurt Raab (46) war das erste prominente Aids-Opfer in der Republik, und als solches rutschte er unversehens in die tragischste Rolle seines Lebens: Er hatte den Sterbenden zu geben – sieben Monate und in aller Öffentlichkeit.

 

Das Grusical hatte einen Namen: AIDS. Die Menschen reagierten auf die Berichte über die grassierende Immunschwäche, als hätte sie die Pest heimgesucht. Und so jagte in den Medien eine Aufklärungskampagne die nächste. Geholfen hat es wenig. Im Gegenteil, als klar wurde, dass die Seuche nicht auf das homosexuelle Milieu beschränkt blieb, wuchs die Hysterie ins Unermessliche. Bayern konterkarierte den Weg der Aufklärung mit einem eigenen Aidsgesetz, das sowohl eine Meldepflicht für HIV-Positive vorsah wie auch Zwangstests für Angehörige von "Risikogruppen". Wer positiv war, wurde wie ein Aussätziger behandelt. Selbst Krankenhäuser weigerten sich, AIDS-Patienten aufzunehmen.  

 

Ich hatte Kurt Raab bereits vor sieben Monaten besucht. Damals saßen wir in einem geräumigen Krankenzimmer – das hier war eine 12-Quadratmeter-Zelle. "Um Gottes Willen, schreiben Sie das nicht, ich bin froh, überhaupt untergekommen zu sein!" bat er mit dünner Stimme. Ich war der einzige Journalist, den er noch zu sich ließ. Seine großen blanken Augen schienen die Bilder draußen vor dem Fenster regelrecht zu schlürfen, ihre Wachheit stand im seltsamen Gegensatz zu der hageren gekrümmten Gestalt, deren Haut mit schwarzen Krebs-Malen übersät war. Er strich sich über den Kopf: "Die Haare gehen aus, das ist auch so ein Zeichen..."

 

Kurt Raab hatte tapfer gekämpft, noch vor wenigen Wochen verließ er das Krankenhaus, um an der Seite von Tony Curtis in einem Thomas-Brasch-Film vor der Kamera zu stehen. Nach einem Tag fragte der Produktionsleiter den Regisseur: "Was machen wir mit Kurt?" Brasch schickte ihn weg, in dieses Zimmer.

    

Die aberwitzige Diskussion um die Immunschwäche, die Diffamierungen und Ängste, die die Betroffenen damals auszuhalten hatten, nahmen Kurt Raab das letzte Quäntchen Mut. "Im Grunde", sagte er und lächelte gequält, "müssten wir Infizierten doch viel mehr Angst vor euch haben als umgekehrt...". Er wurde müde und bat mich zu gehen: "Macht mir ein schönes Begräbnis", sagte er mit geschlossenen Augen und streckte die Hand nach mir aus. Wenige Tage später war er tot und so berühmt wie nie zuvor...

 

Abdruck mit Erlaubnis des Journalisten und Autors Dirk C. Fleck