Willi und die Kameraden
1978/79
Inhalt Im Zeugnis steht: "Schüler Willi Klein träumt, Versetzung unwahrscheinlich." Als dieser Fall schließlich eintritt, Willi sich als Hauptschüler ohne Abschluss einer Gruppe jugendlicher Neonazis anschließt, ist das Ende seiner schulischen Laufbahn bereits Resultat und nicht etwa Ursache seiner Radikalisierung. Willi, die "Null", dem seine Umwelt so wenig zu sagen hat wie er ihr, hat sich da schon längst in eine Welt der Panzer, der heldenhaften Schlachten hinweggeträumt. Weg zum Beispiel aus der anonymen Betonwelt des Berliner Märkischen Viertels, seiner "Heimat", der allein Wandsprüche - sogenannte "Schmierereien" - noch eine persönliche anklagend-aggressive Färbung geben. Da ist kein Halt und keine Wärme, Willis Schritt in die Abkapselung einer Subkultur ist nur eine logische Folge.
(Quelle: Ziegler-Film)
Helmut Kopetzky zu seinem Film: Fast immer entpuppt sich die "Nazi-Begeisterung" als Ausbruchsversuch in eine zufällig vorgefundene Spielwelt, als Spiel mit den Abfallprodukten einer pseudohistorisch verbrämten Nazi-Nostalgie der Erwachsenen. Und als lustvolle Tabu-Verletzung: Das EK I auf dem Schulweg getragen, und der preußisch-kurze Haarschnitt wirken provozierender als seinerzeit die Beatlesfransen. Die zunehmende Kälte in unserer modernen Gesellschaft, die Rationalisierung der Umgangsformen, selbst in der Familie, führen Jugendliche in Versuchung, denen auf den Leim zu gehen, die billigen Ersatz anbieten: Emotionen, ein Ziel, Kameradschaft (= Nestwärme), Abenteuer. Auch Willi sucht "es" verzweifelt. Kein braunes, kein schwarz-weiß-rotes, kein rotes... einfach das Abenteuer. Er findet es weder zu Hause, in der Vorzeigewohnung der Aufsteigerfamilie Klein, nicht im Wohnviertel, aus dem das Abenteuer wegsaniert wurde, nicht in der Schule, wo der Konkurrenzkamp Klassenkameraden in Mitbewerber um Ausbildungsplätze verwandelt hat. Abenteuer und Kameradschaft fehlen den "Willis" heute am meisten. Besonders gefährdet sind - unabhängig von der sozialen Schicht - Kinder zur Zeit der Ablösung vom Elternhaus (also im schwierigsten Lebensabschnitt), aus "kalten" (gefühlsarmen) Familien. Natürlich haben Jugendliche mit der schlechtesten Schulbildung und den geringsten Berufschancen besondere Neigung für starke Sprüche, starke Lösungen... für starke Männer, die alles ändern wollen. Aber: Willi und die Kameraden ist keine Trend-, sondern eine Personenbeschreibung. Willi ist keine Kunstfigur, die als "Ideenträger" alle möglichen Ursachen und Entwicklungstendenzen vereinigt. Er hat ein lebendes Vorbild: einen über viele Monate (und immer noch) beobachteten, jetzt 17jährigen Gelegenheitsarbeiter. Auch die Gruppe, der sich Willi Klein vorübergehend anschließt, ist keine Erfindung: ich kenne drei dieser Art in Berlin, lose Zusammenschlüsse Halbwüchsiger, bandenähnlich, aber (noch) nicht kriminell... Völlig unpolitische Gassenjungen, auch einige Mädchen, organisiert nach einem pubertär anmutendem Reglement (ihre "Führer" könnten sich genauso "Großer Häuptling" nennen), ohne Kontakte zur rechtsradikalen Szene á la Wiking-Jugend. Diese Gassenjungen-Gangs sind für die meisten Mitglieder nur Durchgangsstationen auf der Suche nach altersgemäßen Abenteuern in der Großstadt. Form und Inhalt, das Ritual und der Jargon sind vom Zufall bestimmt (einer hat sich damit beschäftigt, steckt die anderen an usw.). Aber der Wunsch nach Ziel, Gemeinschaft, Führung ist allen gemeinsam. Wer ihn zuerst befriedigt, hat Willi und die "Kameraden" auf seiner Seite. Deshalb fragt der Film nach den Versäumnissen und den Möglichkeiten der Erwachsenenwelt, die Lage und den Status dieser Jugendlichen und verbessern.
(Quelle: Broschüre Das Fernsehspiel im ZDF, Dezember 1978 - Februar 1979, herausgegeben vom Zweiten Deutschen Fernsehen, Informations- und Presseabteilung)
Layout: Rosemarie Kuheim Bearbeitet: 25. November 2020
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