Hans W. Geißendörfer über seinen Film  Die gläserne Zelle

 

 

 

"Während der Vorbereitungen zu der Fernsehserie Lobster stieß ich auf die Romane der Highsmith und bemühte mich, zunächst vergeblich, um die Rechte von drei Titeln: Mord mit drei Durchschlägen, Venedig kann sehr kalt sein und Die gläserne Zelle. Die Romane der Highsmith sind wohl die menschlichsten, die sensibelsten des Krimigenres; sie handeln von Leuten, die so sind wie "du und ich". Da findet man Typen, in deren Haut man schlüpfen kann, von denen man verwandte Erlebnisse erfährt. Das sind zumeist Leute aus dem Mittelstand, die ein ganz normales Leben führen, die durch irgendeine Winzigkeit oder einen überraschenden Ehrgeiz eine Verschiebung in ihrem Lebensplan erfahren, dadurch ausgeschlossen werden aus den gewöhnlichen Alltagsanlässen und in eine Unterwelt ihrer eigenen Seele transportiert werden. Die Highsmith beschreibt Figuren, deren Psychologie so zwingend ins Chaos, zu einer Explosion führt, wie man das sonst wohl nur im "klassischen Drama" erfährt. Polizisten sind bei ihr immer Nebenfiguren; die Aufklärung des Verbrechens interessiert sie allenfalls am Rande.

 

Anfang 1976 waren wir auf der Suche nach einem Stoff für eine neue Produktion mit Luggi Waldleitner, als überraschend die Recht für Die gläserne Zelle frei wurden. Ich bot Waldleitner diesen Stoff an, und er gab nach wenigen Tagen sein OK. Wir haben die Rechte mit allen Freiheiten der Bearbeitung gekauft. Ich möchte da auch etwas Vermessenes sagen: Ich bin der Meinung, dass die Figuren, die wir für den Film erarbeitet haben, näher an den Qualitäten der sonstigen Highsmith-Figuren sind als die der Vorlage. Ich halte Die gläserne Zelle nicht für ihren stärksten Roman - obwohl die Highsmith ihn unheimlich liebt, wohl wegen des bei ihr seltenen sozialen Engagements. In diesem Roman, so hat sie gesagt, ist am meisten von ihr selbst verarbeitet. Ihr gefällt wohl auch der Pessimismus dieser Geschichte.

 

Der Roman, so kann man überspitzt sagen, zerfällt in zwei Teile: der eine spielt im Gefängnis und zeigt die Verrohung durch den Strafvollzug bis zum Mörder; der andere zeigt die Resozialisierungsprobleme: Entlassung, Berufslosigkeit und die Schwierigkeiten, wieder an die Familie 'ran zu kommen. Die Gefängnisgeschichte hat uns eigentlich nicht interessiert, auch weil es eine ganze Menge Filme und Fernsehspiele gibt, die so etwas erzählen. Auch die Probleme der Strafentlassenen sind da schon öfter behandelt worden. Uns interessierte, den privaten, intimen Bereich eines in die Freiheit entlassenen unschuldig Verurteilten zu durchforsten. Deshalb haben Klaus Bädekerl und ich uns vorwiegend auf dieses Motiv konzentriert und dieses gegenüber der Vorlage auch noch verstärkt.

  

Das Schwierigste an diesem Film war, die psychischen Bedingungen dieser beiden Figuren, von Phillip und seiner Frau Lisa, zu entwickeln. Wir haben versucht, gemeinsam mit den Schauspielern herauszufinden, wie die beiden leben, wie sie fertig werden mit ihren Schwierigkeiten. Die Fossey, ein wahres Botticelli-Mädchen, hätte sich zu Griems Phillip auch wie eine harmlose Unschuld verhalten können. Davon sollte sie in unserer Interpretation zwar etwas haben, aber der Zuschauer sollte zugleich die Irritation Phillips kapieren. Um diese Figuren sehr differenziert zu entwickeln, haben wir mit den Schauspielern, vor allem mit Griem und Fossey, ausführliche Vorgespräche geführt und uns auch später, während der Dreharbeiten, vor entscheidenden Szenen zusammengesetzt, um uns abzustimmen: Zum ersten Mal habe ich mich darauf eingelassen, solche Diskussionen während des Drehens zuzulassen und zu provozieren. Wir haben die üblichen Produktionsängste und -zwänge, nicht fertig zu werden, zu überziehen usw., einfach beiseite geschoben. Ich wage zu behaupten, dass es in diesem Film keine einzige Szene gibt, in der die beiden etwas machen, nur weil der Regisseur es so wollte; wenn sie sich in einer Szene nicht wohlfühlten, wurde darüber gesprochen. Unsere Arbeitsweise, eine Szene bei Arbeitslicht mit und vor allen Beteiligten - dem Kameramann, dem Assistenten, den Beleuchtern, dem ganzen Team - zu entwickeln und sie erst dann auszuleuchten, die Kamerapositionen festzulegen, diese Arbeit, glaube ich, hat sich gelohnt."

 

(Quelle: Aus "Kino 78 - Bundesdeutsche Filme auf der Leinwand" von Doris Dörrie und Robert Fischer, Verlag Monika Nüchtern, München, 1978)

  

 

 

 

 

 

 

 

  

 

Layout: Rosemarie Kuheim

Bearbeitet: 22. Oktober 2020