Kurt
Gloor
Regisseur -
Drehbuchautor
S
e i n e F i l m e
Geboren
am 8. November 1942 in Zürich.
Gestorben
am 20. September 1997.
Kam nach einer Grafikerausbildung zum
Filmemachen.
1967/1968
entstanden mit ffft,
Hommage und
Mondo Karies
die ersten eigenen Kurzfilme, ab 1969 arbeitete er als selbständiger
Filmemacher und produzierte Filme. Breite Anerkennung erhielt Gloor für sein
Spielfilmdebüt
Die plötzliche Einsamkeit des Konrad Steiner
(1975), das 1976 auf der Berlinale gezeigt wurde.
Nach mehreren Spielfilmen produzierte er ab 1993 ausschließlich Dokumentarfilme
für das Fernsehen DRS. Außerdem war er journalistisch für die "Neue Zürcher
Zeitung" und die "Weltwoche" tätig.
Leider
nahm er sich am
20. September 1997 in Zürich das Leben.
Auszeichnungen
1970:
FIPRESCI-Preis der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen für
Die
Landschaftsgärtner
1971:
Interfilm-Preis der Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen für
Ex
1972:
Interfilm-Preis der Internationalen Agrarfilmtage in Berlin für
Die
Landschaftsgärtner
1976:
OCIC-Preis bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin für
Die plötzliche
Einsamkeit des Konrad Steiner
1977:
Filmpreis der Stadt Zürich für
Die plötzliche
Einsamkeit des Konrad Steiner
1977:
Silberne Sirene der Filmwoche Sorrento für
Die plötzliche
Einsamkeit des Konrad Steiner
1981:
OCIC-Preis beim Festival Internacional de Cine de Donostia-San Sebastián für
Der
Erfinder
1984:
OCIC-Preis bei den Internationalen Filmfestspielen Berlin für
Mann ohne Gedächtnis
Unsere
Verantwortung hast Du uns hier gelassen
Dem
Schweizer Filmautor und Anwalt der Sprachlosen zum Abschied
von
Fred Zaugg
Unsere Verantwortung in dieser Welt, dieser Gesellschaft, dieser Schweiz, unsere
Verantwortung gegenüber unseren Nächsten hast Du uns hier gelassen.
Unablässig hast Du versucht, unser Bewusstsein zu wecken und nicht nur unsere
Kino- und Fernsehaugen, sondern auch unser Herz und unsere Hand für jene zu öffnen,
die keine Lobby haben, für alle, die am Rande leben, in Armut, in Krankheit,
alt, blind, gelähmt, süchtig, ausgesteuert. Du hast uns von ihrer
Menschlichkeit, ihrem Trotzdem berichtet und uns den Wert eines jeden einzelnen
hinter aller Behinderung erkennen lassen.
Und nun bist Du gegangen, verzweifelt, und hast uns mit unserer Verantwortung
zurückgelassen.
Du hast zu jenen gehört, die glaubten, durch ihr Engagement, durch ihren aufklärerischen
Kampf etwas verändern zu können. Ursprünglich warst Du Grafiker, doch Du hast
das mit der altehrwürdigen Druckerkunst vermählte Metier zugunsten des Films
verlassen, weil Du diesem «Massenmedium» eine revolutionäre Kraft zutrautest.
Ende der sechziger Jahre warst Du mit dabei, als es darum ging, einen neuen,
einen jungen und angriffigen Schweizer Film zu schaffen, mit dem das
schweizerische Establishment herausgefordert werden sollte. Eine Bewusstseinsänderung
in der verkalkten helvetischen Gesellschaft herbeizuführen, war das hohe Ziel.
Die friedliche «Waffe» war die Kamera, das Bild der von Dir erkannten Wahrheit
der Dokumentarfilm.
Schon Deine Kurzfilme hatten Sprengkraft, sei es nun
ffft,
Hommage, Mondo Karies,
Ex oder Wanted. Und erstaunlicherweise haben die meisten von
ihnen eine erschreckende Aktualität bewahrt - dreißig Jahre nach ihrer
Entstehung.
1969 hast Du Dich mit Die
Landschaftsgärtner, Deinem ersten abendfüllenden
Dokumentarfilm, zum Fürsprecher der Bergbauern gemacht, und zwei Jahre später
bist Du mit
Die
grünen Kinder gegen die «Käfighaltung» der jungen und jüngsten
Menschen in modernen Wohnsiedlungen ins Feld gezogen und hast, wie weiland Don
Quijote gegen die Windmühlen, gegen die Immobilienspekulanten in unserem Lande
gekämpft.
Damals bereits hast Du erkannt, mit welchem perfiden System die Mächtigen
darauf bedacht sind, die Menschen nicht allein materiell zu beherrschen, sondern
auch psychisch zu dominieren, wenn nicht sogar zu «beschädigen», wie Du
gesagt hast.
Damit wären wir bei dem alten Wort «Seele», das Du, Kurt Gloor, wenig
gebraucht, aber stets gemeint hast. In Deinem ersten Spielfilm,
Die plötzliche Einsamkeit des Konrad Steiner,
aus dem Jahre 1976 hattest Du mit Sigfrit
Steiner einen Schauspieler, der in der Geschichte seiner Entwurzelung Seele
sicht- und erlebbar zu machen verstand. Und zwei Jahre später vermittelte ein
einzigartiger
Bruno Ganz als
Der
Erfinder Jakob Nüssli die alte, doch
deswegen nicht minder ungeheuerliche Wahrheit, dass aller Erfindergeist des
Menschen, seine ganze großartige Kreativität dem Krieg und der Vernichtung
dieses unseres blauen Planeten dienstbar gemacht wird.
Deine Wahrheiten sind schmerzhaft. Sie berichten von Verletzungen, von Beschädigungen
der Seele und von einer Psychiatrie als einer überheblichen Behandlungs- und
Reparaturmethode. In diese Richtung geht auch Deine adäquate Glauser-Verfilmung
Der
Chinese, und Dein
Mann ohne Gedächtnis
ist im Film von 1984 aus
einer unerträglichen Situation in die Erinnerungslosigkeit geflohen.
Nach diesem Werk hast Du vom sogenannten freien Filmschaffen, das eigentlich
einem Betteln nach Unterstützung gleichkommt, Abschied genommen und für das
Fernsehen gearbeitet, das Dir für Deine angriffigen und berührenden Reportagen
mehr Freiheit gewähren konnte. Andrerseits hast Du einmal gesagt, Du müssest
die Menschen dort abholen, wo sie zu finden seien, und das sei halt vor der «Kiste».
Immer wieder steht das Wort «Leben» in den Titeln Deiner Reportagen: «Das ist
mein Leben», «Frühstart ins Leben», «Erste Tage im Leben eines
Methadon-Babys», «Leben unter Riesen» - dahinter sind eine gelähmte
Schriftstellerin, Frühgeborene in Brutkästen, ein Säugling mit geerbter Sucht
und der brutale Alltag Kleinwüchsiger zu finden.
Ich weiß nicht, warum Du gegangen bist, Kurt, aber ich weiß, dass Deine
Bilder, Deine Worte wichtig sind als Bekenntnis zum Leben. Hast Du zuviel
gewusst, Du, der Du immer allem ganz genau auf den Grund gehen musstest? Bist Du
an einer Schweiz verzweifelt, die mit der Initiative «Jugend ohne Drogen»
gegen Kranke vorgehen will, die doch vor allem der Spiegel einer Gesellschaft
sind, welche Angst produziert und Seelen verletzt, einer perspektivelosen
Gesellschaft, in der nur noch mit Verboten regiert wird?
Bei Deinen Festivalbesuchen hast Du während Jahren den Camper einem Hotelzimmer
vorgezogen. Du hast Dir eine Rückzugsmöglichkeit gewahrt, aber stets warst zu
offen für Gespräche. Es scheint mir noch nicht lange her zu sein, dass wir
zusammen von der verhängnisvoll falschen Orientierung sprachen: Erst wenn wir
beginnen, uns am Menschen statt am Geld zu orientieren, wird jene Veränderung möglich,
die das Leben wieder sinnvoll werden lässt.
Es ist schwer, unter südlicher Sonne und mit Blick auf den Lubéron von Dir
Abschied zu nehmen, in einem Moment, da jede Grille von Leben zirpt. Jetzt lässt
die weiße Fabrik weit in der Ebene draußen Dampf ab, vielleicht giftigen. Du lässt
uns mit unserer Verantwortung zurück, und es ist zu hoffen, dass Dein Vermächtnis
über Deinen Tod hinaus die Menschen zu sensibilisieren vermag für die Unterdrückten,
die Randständigen, die Abhängigen, für des Menschen Seele und das Leben.
Mit freundlicher Genehmigung
©Fred Zaugg in "Bund" am 26.09.1997
(Link führt zu artfilm.ch)
Layout:
Rosemarie Kuheim
Bearbeitet: 2. Januar 2024
Diese
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